Die ‚Freie Bühne Wendland‘ inszeniert mit der „Höhbeck Saga“ die Lebenserinnerungen der Anthroposophen Margret und Karl Voelkel. Die Zeit des Nationalsozialismus, in der sich Voelkel als Safthersteller etabliert, wird in dem Stück jedoch verharmlost. Das sei „verstörend“, schreibt Gastautorin Barbara Hilleke.
Die Höhbeck-Saga, (k)ein harmloses Theaterstück?
Ich war bei der kulturellen Landpartie im Wendland, eigentlich um mal wieder was Schönes zu machen. Musik, Kunst, Theater, Tai Chi, Paddeln, Eselswanderung und alles in einer idyllischen Landschaft. Zu Gast bei Leuten, die damals erfolgreich die Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben verhindert haben. Und dann bin ich in dieses Theaterstück, aufgeführt von der Freien Bühne Wendland, gegangen.
Zunächst ein großes Lob an Regie und Schauspielerinnen. Ohne jede Ironie: Die Freiluftbühne auf einer Wiese zwischen hohen Bäumen und einer Schafweide bei herrlichem Wetter schafft eine wunderschöne Atmosphäre. Requisiten, Bühnenbild, Kostüme, es war einfach alles total schön und gelungen. Die Schauspielerinnen waren richtig gut. Sie konnten das Publikum mitreißen und faszinieren und die großen Emotionen kamen an. Davon war ich wirklich beeindruckt.
Nur das Stück hat mich nachhaltig verstört.
Der Nationalsozialismus als harmlose Kulisse
Der Inhalt ist schnell erzählt. Es handelt sich um die Geschichte des saftherstellenden Familienbetriebs Voelkel. Sie beginnt mit einem verliebten und energievollen jungen Paar, das dann, während der NS-Zeit, mit viel Elan und Idealismus aus dem Nichts eine große Firma aufbaut. Viele Schwierigkeiten, Enttäuschungen und anfangs große Armut müssen bewältigt werden. Sie bekommen vier Kinder, davon sterben zwei als Soldaten im Krieg. Ganz am Schluss stimmt die übrig gebliebene Familie ein optimistisches Lied an, den genauen Text weiß ich leider nicht mehr, aber der Inhalt war, dass doch das Leben schön sei und weiter ginge. Ende.
Die Geschichte spielt während der NS-Zeit und es wird während des gesamten Stückes nicht die leiseste Andeutung gemacht, dass Deutschland gerade dabei ist, einen industriellen Massenmord an Millionen von Menschen zu verüben. Jetzt könnte man natürlich sagen, es ist einfach nicht das Thema des Stückes. Dieses sympathische Pärchen war vielleicht gerade zu sehr mit dem Aufbau der Firma beschäftigt? Und sie hatten es ja auch nicht leicht? Vielleicht haben sie ja gar nicht mitbekommen was noch so passierte? Und schließlich haben sie ja auch nichts Böses getan, sondern nur eine Firma aufgebaut? Ihr Leben gelebt?
Ein Brief mit Hakenkreuz
Ein paar kleine Hinweise auf den gesellschaftlichen Kontext lassen sich dann aber doch im Stück finden.
- Man erfährt, dass das Paar nicht kirchlich geheiratet hat und sich der Wandervogel-Bewegung zugehörig fühlt. Sie wollen mit Kirche nichts zu tun haben und irgendwann im Verlauf des Stückes wird eine Art „Sinnsuche“ angedeutet und die Protagonisten bekennen sich zu Anthroposophie und Demeter. In der wenigen freien Zeit „studiert“ das Ehepaar anthroposophische Werke. Über Anthroposophie ist bekannt, dass die „Lehren“ des Begründers, Rudolf Steiner, nicht nur aus abstrusen Phantasien über Engel und Seelenwanderungen bestehen, sondern auch zutiefst rassistisch und antisemitisch sind. Die Machtübergabe an die NSDAP wurde 1933 von führenden Anthroposophen in offiziellen Stellungnahmen begrüßt. Und auch wenn es kleine Differenzen zwischen den verschiedenen völkischen Gruppen gab, einig war man sich darin, dass der „jüdisch-bolschewistische Untermensch“ bekämpft werden sollte (vgl. Peter Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister, 2005). Auch wurde im Konzentrationslager Dachau ein „Kräutergarten“ betrieben, in dem nach Demeter-Prinzipien biologisch-dynamisch angebaut wurde. Häftlinge wurden hier zu katastrophalen Bedingungen zwangsbeschäftigt. Schätzungsweise fanden im „Kräutergarten“ von 1939 bis 1945 mindestens 800 Gefangene den Tod. (vgl. Wikipedia)
- Die Familie plant, einen Bauernhof in Schlesien zu übernehmen. Alle freuen sich sehr darauf. Wer ihnen das angeboten hat, ob sie sich darum beworben haben, warum es da überhaupt Bauernhöfe zum Übernehmen gibt, erfährt man nicht. Dann kommt der Briefträger mit einem Brief „mit einem Hakenkreuz“, der mit viel Brimborium geöffnet wird. An dieser Stelle erfährt man, dass die Anwesenden von einem Brief mit Hakenkreuz nichts Gutes erwarten. Man erfährt nicht, ob es vielleicht zuvor bereits andere, durchaus willkommene, Briefe mit Hakenkreuz gegeben hat, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Bauernhof in Schlesien. In dem Brief steht jedenfalls, dass sie als „nicht bauernfähig“ abgelehnt werden, nach Schlesien zu gehen, da beide Väter des Paars Suizid begangen haben.
- Später im Stück wird erwähnt, dass im Familienbetrieb Zwangsarbeiter beschäftigt werden. Über die beiden Zwangsarbeiter erfährt man, dass sie den gleichen Vornamen haben obwohl sie aus unterschiedlichen Gegenden der Sowjetunion stammen. Mehr leider nicht. Man erfährt nicht, auf welche Weise sie in den Betrieb gekommen sind und man erfährt nicht, dass es sich faktisch um Sklaverei handelte, dass es verboten war, Zwangsarbeiter*innen mit der Familie am Tisch essen zu lassen, dass es für sie keinerlei Arbeitsschutzrichtlinien, Gesundheitsversorgung oder Anspruch auf Urlaub gab und sie sich in einer völligen Abhängigkeit von dem Betrieb befanden, in dem sie beschäftigt waren (vgl. www.ns-zwangsarbeit.de). Man erfährt auch nicht, ob die Firma vielleicht die beiden Zwangsarbeiter oder ihre Nachkommen später ausfindig gemacht und ihnen eine Entschädigung gezahlt haben.
Was ist zwischen 1933 und 1945 passiert?
Mit alldem möchte ich nicht sagen, dass es sich bei dem Paar um verantwortliche Nazitäter handelt. Es kann nicht darum gehen, diese Leute, die es ja tatsächlich gegeben hat, abzuurteilen. Darüber, wie ihre Haltung und Einstellung damals genau war, lässt sich anhand des Stückes nicht viel sagen. Vielleicht sind sie im Nazi-Sumpf mitgeschwommen wie die allermeisten Deutschen.
Mir geht es darum, dass dieses Stück geschrieben wurde und im Jahr 2023 aufgeführt wurde. Ich möchte denjenigen, die dafür verantwortlich sind, keine Naivität unterstellen. Ich möchte nicht glauben, dass sie nichts davon mitbekommen haben, dass es in den letzten 78 Jahren zumindest fragmentarisch eine gesellschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit gegeben hat und dass Deutschland sich im Ausland immer gerne dafür feiern lässt, seine Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Auch die Dynamik des „Wir-habendas-
nicht-gewusst“, das gerne von den gleichen Personen vertreten wurde, die kurz darauf umso vehementer nach einem „Schlussstrich“ gerufen haben, ist wissenschaftlich erforscht worden. (vgl. Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst, 2006)
Das Stück verharmlost und verniedlicht den Nationalsozialismus. Man stelle sich eine fiktive Person vor, die noch nie von dem gehört hat, was in Deutschland und Europa zwischen 1933 und 1945 passiert ist. Welches Bild entsteht bei dieser Person, wenn sie das Stück sieht?
Eigentlich müsste es einen Aufschrei geben für ein Theaterstück, das die Shoah nicht einmal erwähnt und das Bild vermittelt, die Opfer des Nationalsozialismus seien Leute gewesen, die einen zunächst versprochenen Bauernhof in Schlesien dann doch nicht übernehmen durften. Und was das Ganze für mich komplett unverständlich macht, ist, dass dieses Stück im Rahmen der kulturellen Landpartie aufgeführt wird, bei der man – ich jedenfalls bisher – eher antifaschistische Inhalte erwarten würde.
Ich bin da wirklich ein bisschen sprachlos.
Weiterlesen?
Voelkel.de – Unternehmens-Geschichte: „Nachdem Karl und Margret Voelkel mehrere Jahre mit einer fahrbaren Saftpresse – dem „Mostmax“ – von Dorf zu Dorf zogen und die Früchte der Bürger vor Ort in köstliche Säfte verwandelten, entstand 1936 in der stillgelegten Meierei von Pevestorf am Fuß des Höhbeck eine feste Bio-Mosterei. Ab Mitte der 40er Jahre – in der zweiten Generation – entwickelte sich die Firma unter Harm Voelkel zu einem überregionalen Begriff.„
taz.de – „So ist das, wenn man Saft im Blut hat“: „Ihr Unternehmen wurde unter dem nationalsozialistischen Regime gegründet. Wie hat sich das auf die Firma ausgewirkt?
[Jurek Voelkel] Meine Urgroßeltern gründeten die Lohnmosterei im Jahr 1936. Die Lehren Rudolf Steiners, die Margret und Karl Voelkel damals für ihr Leben entdeckten, wurden auch vom nationalsozialistischen Regime aufgegriffen und für faschistische Ideologien missbraucht. Ein anthroposophisch inspiriertes Kleinstunternehmen, das Obst verarbeiten und Saft verkaufen wollte, musste damals nicht mit Schwierigkeiten rechnen, auch wenn es keine nationalsozialistische Gesinnung zeigte. Mit Ausbruch des Krieges wirkte sich das NS-Regime zunehmend negativ auf die Entwicklung der jungen Mosterei aus. Zu den ohnehin großen alltäglichen Herausforderungen der Zeit kam eine Vielzahl an Entbehrungen. Der Wunsch, sich in einem eigenen Anbauprojekt nach ersten Demeter-Ideen zu verwirklichen, wurde von den Nazis unterbunden. Zwei Söhne sind gefallen.„
@AnthroBlogger auf Twitter: Voelkel verteidigt Rudolf Steiner gegen Rassismus-Vorwürfe
@AnthroBlogger auf Twitter: Voelkel produziert Daisho-Energydrinks des rechtsextremen Verschwörungsideologen Attila Hildmann
@AnthroBlogger auf Twitter: Attila Hildmann seit 2015 offen fremdenfeindlich. Voelkel machte Hildmann 2018/19 zum Partner, distanzierte sich später
@AnthroBlogger auf Twitter: Verschwörungsideologe und Coronaleugner Rüdiger Dahlke auf der Webseite von Voelkel / Voelkel entfernt Verweise auf Dahlke
Anthroposophie.blog – Wenn Barcodes gegen den Strich gehen
Anthroposophie.blog – Demeter-Preis für einen esoterischen Saftladen