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Waldorf verbrennt das Woke-Monster

Michaeli-Fest der Freien Waldorfschule Itzehoe, 2023. SchülerInnen bekämpfen das Böse in Gestalt eines Drachens aus Pappmaché. Das zweiköpfige Monster mit dem pinkem Barbie-Hut und dem rosafarbenen Fußballtrikot mit der Aufschrift „Gaydidas“ haben sie selbst gestaltet. Es wird brennen.

Wie zahlreiche andere Waldorfschulen in Deutschland beging auch die Freie Waldorfschule Itzehoe am 29. September ihr traditionsreiches Michaeli-Fest. Das Erzengelfest hat in der christlich-esoterischen Lehre der Anthroposophie, in der die Waldorfpädagogik ihre Grundlage hat, einen großen Stellenwert. Das steht symbolisch für den Kampf des Guten über das Böse, oder im Waldorf-Sprech: Es steht für den Sieg der (für Gläubige real existierenden) Erzengel über höllische Dämonen.

Das ursprünglich katholische Fest vereinnahmte der Waldorfschulen-Gründer Rudolf Steiner in seiner bunt gemischten Weltanschauung aus christlichen, buddhistischen und wahnhaft-esoterischen Ansichten. Seinen Kampf gegen das Böse leben und erleben WaldorfschülerInnen seit jeher selbst: Allerlei Mutproben und martialische Rituale wie das Drachentöter-Fest gehören bei Waldorfs dazu.

Die Waldorfschule Itzehoe drückt es so aus:

Der Legende nach wollte der Erzengel Satanael Gott gleich werden. Daher befahl Gott dem Engel Michael, Satanael und dessen böse Scharen vom Himmel zu stürzen. Mit Hilfe des Zepters Gottes kämpfte Michael und wurde schließlich als Erzengel Michael zum Anführer der himmlischen Heerscharen.“  (Waldorfschule Itzehoe, „Michaeli, das Fest der Freiheit„, 08. Oktober 2023)

Die Waldorfschule mit ihrem okkult-esoterischen Hintergrund ist als Hochburg von VerschwörungsideologInnen bekannt.

Der ewige Kampf von Gut gegen Böse, gleichsam ein Kern vieler Verschwörungserzählungen, spielt sich nach dem Glauben der AnthroposophInnen auch jetzt überall um uns herum ab. Wahrgenommen können die kriegerischen Fabelwesen wie Erzengel und Dämonen aber nur von eingeweihten „Geheimschülern“, die den geistigen Erkenntnisweg nach Rudolf Steiner absolviert haben.

Schwerverletzter bei Waldorf-Ritual

Schon die Kinder im Waldorfkindergarten sollen, mit oft selbstgebastelten Holzschwertern bewaffnet, gegen die „satanischen Kräfte“ ankämpfen. Die Waldorfkindergärten in Hagen und Umgebung schreiben, beispielsweise, man wolle mit den Ritualen „dunkle, satanische Kräfte“ austreiben. Die „michaelische Kraft“ werde den kleinen Kindern dabei helfen, „das Licht zu erringen“. Sie singen zum Beispiel:

Mit deiner Hilfe, oh Michael, werden wir die Mächte des Bösen überwinden!

Quelle: https://x.com/GregoirePerra/status/1443535196247179272?s=20

An Waldorfschulen gibt es verschiedene solcher mit immenser Bedeutung aufgeladene Rituale: Die SchülerInnen kleiden sich ganz in weiß oder in ihre bunten Eurythmie-Kittel. Es gibt „Ringen und Raufen“ als Kraftprobe, das Springen über ein brennendes Feuer als Mutprobe oder eben das Erlegen des Bösen mit brennenden Pfeilen. Diese Rituale sind nicht immer ungefährlich: Auf Bildern von Waldorfschulen weltweit sieht man Kinder im Rauch stehen, unter dem brennenden Pappmaché herumkriechen oder mit offenen Sandalen über ein loderndes Feuer springen.

Vom Brandrauch bunt bemalter Drachen könnte aufgrund der vielen eingesetzten Farben und Lacke nicht zuletzt eine ganz eigene Gefahr ausgehen.

Die für viele SchülerInnen unangenehmen, rückständigen Rituale und Mutproben der Waldorfschulen führten bereits zu einem Schwerverletzten.

Der 15-jährige Schüler Jakob S. von der Wiener Rudolf-Steiner-Schule verletzte sich 2011 bei einem Feuer-Sprung so schwer, dass er mehrfach an beiden Füßen operiert werden musste. Nicht ein Lehrer, sondern ein Bauer hatte entschieden, den Jungen ins Krankenhaus zu bringen. Als die Mutter des Jungen eine Stellungnahme von der Schule einforderte, wurde die Familie herausgeworfen. Die Schule wies seinerzeit jegliche Vorwürfe zurück.

SchülerInnen entwerfen Drachen selbst

Zusammen mit der Kunstlehrerin Frau M. gestalteten rund 30 SchülerInnen der Waldorfschule Itzehoe den Pappmaché-Drachen nach eigenen Ideen selbst. So schreibt eine Schülerin der 9. Klasse:

Es waren nicht immer alle gleicher Meinung, doch es blieb einfach keine Zeit für längere Diskussionen und wir mussten schnell über unsere Fehler hinwegsehen und einfach weitermachen. (…)

Wir wissen alle auch nicht recht wie, aber irgendwie haben wir es dann doch geschafft, einfach alle Ideen in den Drachen zu bringen und dadurch ist er auch sehr bunt und vielseitig geworden.“ (Bente D., Freie Waldorfschule Itzehoe, in „Was tut ihr da eigentlich?„, 04. Oktober 2023)

Zu den „vielseitigen“ Ideen der WaldorfschülerInnen gehörte offensichtlich auch, das „Böse“ mit Barbie-Hut und einem rosafarbenen Fußballtrikot des bekannt Pride- und Queer-freundlichen Fußballclubs „Inter Miami“ darzustellen. Das Trikot trägt neben dem Logo des Clubs die drei Streifen der Marke „Adidas“. Unterschrieben sind die Streifen jedoch mit „Gaydidas“.

Der Teufel, den die Waldorfschule hier mit Feuer austreibt, ist queer.

Fragwürdige Symbolik durchdringt die Gestaltung

Der Drachen der Waldorfschule ist janusköpfig, hat also zwei Gesichter. Eines davon trägt klimpernde Wimpern, lange blonde Locken und einen rosafarbenen Hut, verziert mit dem Barbie-Logo. Abgerundet wird das Barbie-Kostüm durch einen rosafarbenen Cowboystiefel und ein kurzes, weiß-lila gestreiftes Röckchen auf hellblauem Grund, was manche an die Farben der Transgender Pride-Fahne gemahnt. Es wurde dem Drachen vor dem in Brand setzen offenbar ausgezogen.

Die kürzlich erschienene Verfilmung mit der erfolgreichen Barbie-Puppe hatte vor allem Konservative und Rechte verärgert. Zu feministisch, zu schwul-verweichlicht, zu „woke“ sei der Film. Der Kampf gegen eine angebliche Unterwanderung der Gesellschaft durch Gutmenschen vereint QuerdenkerInnen, Rechtsextremisten und Rudolf-Steiner-Esoteriker seit langem. Sie sehen es als problematisch an, „woke“ zu sein, also nach der Duden-Definitionpolitisch wach und engagiert“ zu sein gegen „(insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung„. Der Begriff wurde von der anti-rassistischen Bewegung Black Lives Matter inspiriert.

Neben dem Babie-Pink haben sich die SchülerInnen auch für das rosafarbene Inter Miami-Trikot entschieden. Die Farbe Rosa gilt als Symbol für Homosexualität, seit zuerst die Nationalsozialisten sie zur Markierung homosexueller Gefangener mit dem „rosa Winkel“ nutzten. Dieser wurde dann durch die ersten US-amerikanischen Schwulenverbände trotzig als Erkennungszeichen übernommen.

Der Drache trägt auch eine Kamera, die gewöhnlich als Sinnbild für Medien und Journalismus steht. Medien von außerhalb der eigenen esoterischen Blase gelten in der Anthroposophie als verpönt. Der „weibliche“ Kopf des beidgeschlechtlichen Drachens raucht eine dicke Zigarre, Symbol für Reichtum und Kapitalismus. Der „männliche“ Kopf zerfleischt mit großen Reißzähnen einen blutigen Kopf. Auch weitere Details wie eine HSV-Mütze lassen Spielraum für Interpretationen.

Das Woke-Monster wird verbrannt

Am Schluss geht das Böse in Flammen auf. Fünf Brandpfeile, abgeschossen von Fünftklässlern der Waldorfschule Itzehoe, treffen den bösen Drachen in die Brust. Mitten hinein in das rosafarbene Trikot mit dem „Gaydidas“-Logo.

Als die Waldorfschule Itzehoe das Foto ihres „Gaydidas“-Drachen auf ihrem Instagram-Kanal postet, unterschreibt sie es mit dem Hashtag „#Diversity“.

Screenshot: Instagram-Account von Cosmosophic aus dem Team Waldorfsalat Podcast

Tja, und was den Drachen betrifft… 5 Feuerpfeile brachten ihn zum Erliegen… Unter aller Augen ging der (sehr kreativ gestaltete) Bösewicht in Flammen auf. Der Sieg des Guten über das Böse, der Freiheit über die Gefangenschaft.“ (Waldorfschule Itzehoe, „Michaeli, das Fest der Freiheit„, 08. Oktober 2023)

Eine archaische Verbrennung des „absolut Bösen“ in Gestalt eines woken, queeren, rosa Monsters mit dem Wort „Gay“ auf der Brust. Dass das problematisch sein könnte, scheint keinem der Beteiligten bewusst gewesen zu sein.


Dieser Artikel basiert auch auf einer Recherche von taz-Kolumnistin Frau Lea, von Cosmo und von Katharina aus dem Team und dem Umfeld unseres Anthroposophie-kritischen Waldorfsalat-Podcast.

Hörtipp:
Unser „Waldorfsalat Podcast“ (von und mit ehemaligen Waldorfschülerinnen) berichtet in seiner Folge 4 „Feste und Feiern“ auch über das Michaeli-Fest an Waldorfschulen.

https://waldorfsalat.letscast.fm/

Update 12. Oktober 2023

  • Die Waldorfschule Itzehoe hat ihren Instagram-Kanal kurz nach Erscheinung dieses Artikels geschlossen. Zuvor waren kritische Kommentare zum Verbrennungs-Ritual am Michaeli-Fest bei Instagram gelöscht worden.

Update 13. Oktober 2023

  • Das Internet-Portal „Queer.de“ berichtet: „Schleswig-Holstein. Waldorfschule verbrennt Gay-„Bösewicht“: „Die Waldorfschule Itzehoe sorgt mit einer queerfeindlichen Aktion für Kopfschütteln: Auf einem Herbstfest wird vor Schüler*innen ein Drachen verbrannt, der als „gay“ markiert wurde

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Pressemitteilung der Grünen

  • Auch die SPD-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein fordert das Bildungsministerium auf, den Vorgängen nachzugehen. Aus der Pressemitteilung #675-13.10.2023 von Birgit Herdejürgen: „Weder „woke“ noch „queer“ dürfen Kindern als Böse vermittelt werden, was auch immer von archaischen Ritualen sonst zu halten ist. Wir haben das Bildungsministerium aufgefordert, den Vorwürfen gegen die Waldorfschule Itzehoe nachzugehen und dem Bildungsausschuss bei seiner nächsten Sitzung am 2. November über die Ergebnisse zu berichten„.
  • Die Schleswig-Holsteinische Zeitung (SHZ) schreibt in einem [+]-Aritkel: „Queerfeindlich? Harte Kritik an Waldorfschule Itzehoe nach Verbrennungs-Aktion“ (13. Oktober 2023)
  • Die Freie Waldorfschule Itzehoe veröffentlicht eine kurze Stellungnahme: „Mit großem Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass Außenstehende sich von dem Inhalt des St. Michaelis-Festes und dem Festverlauf getroffen fühlen. Es lag und liegt nicht im Interesse der Freien Waldorfschule Itzehoe irgendeine Person oder Gruppe in ihren Gefühlen zu verletzen. Sollte das trotzdem geschehen sein, bedauern wir das und bitten an dieser Stelle aufrichtig um Entschuldigung. „

Update 15.10.2023

  • Der nordwestdeutsche General-Anzeiger schreibt: „Queerfeindlich? Harte Kritik an Waldorfschule nach Verbrennungs-Aktion. Beim Michaelifest an einer Waldorfschule in Schleswig-Holstein wird traditionell ein Drache als „das Böse“ verbrannt. Der war in diesem Jahr voller Symbole der Queer- und Homoszene.“ [+]

Update 16.10.2023

  • Die Schleswig-Holsteinische Zeitung (SHZ) schreibt, CDU und Junge Union Steinburg fordern nun Aufklärung der Drachenverbrennung an der Waldorfschule Itzehoe. Kreisvorsitzende Jana Sophie Szymura: Man vertraue auf ein „angemessenes Umgehen“ mit dem „bedauerlichen Vorfall“ – und darauf, dass es kein menschenfeindliches Klima an der Schule gebe.
  • Das Bildungsministerium Schleswig-Holstein schreibt auf X (Twitter)Zwischenstand: Die Schule hat Vorfälle eingeräumt. Schulleitung ist von Rechtsaufsicht einbestellt und wird Vorfall nach den Herbstferien aufarbeiten müssen, inkl. öff Erklärung. Solche Vorgänge widersprechen den Zielen des Schulgesetzes SH! Aufarbeitung wird kontrolliert.
Screenshot: @Bildung_SH auf X
  • Der Bund der Freien Waldorfschulen nennt die „queerfeindliche?“ [sic!] Drachenverbrennung auf seiner Webseite „in hohem Maße diskriminierend und nicht hinnehmbar„. Der Waldorfbund distanziert sich ausdrücklich und entschuldigt sich „bei der queeren Community„. Der Akt „passe“ nicht zur Waldorfpädagogik.
  • Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) berichtet: „Eine mutmaßlich queerfeindliche Aktion an der Waldorfschule Itzehoe sorgt weiter für Kritik. Der Schwulen- und Lesbenverband hat Strafanzeige gestellt. Die Schule hat sich inzwischen entschuldigt.
  • Das Schleswig Holstein-Magazin des NDR berichtet: „Das Bildungsministerium Schleswig-Holstein hält die Vorgänge in Itzehoe für inakzeptabel: „Wer bewusst Symbole der Selbstbestimmung von Minderheiten verbrennt oder Schmähungen dieser Art veröffentlicht, widerspricht damit den Werten, die unser Schulgesetz vorgibt.“
  • Die NDR Nachrichten veröffentlichen eine Kurzmeldung: „Kritik an Waldorfschule Itzehoe wegen mutmaßlicher Queerfeindlichkeit

Update 17.10.2023

  • Die Berliner Tageszeitung taz schreibt: „Tod dem rosa Drachen“: „„Wir sind entsetzt“, kommentierte der Verband der Lesben und Schwulen in Schleswig-Holstein auf Facebook, nachdem der Anthroposophie-Blog, der sich kritisch mit der Lehre der Anthroposophie und ihrem Gründer Rudolf Steiner auseinandersetzt, über den Fall berichtete. „

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