Der Anthroposoph Rainer Schnurre hat mit „Von vor dem Sturm“ ein gewaltiges Filmprojekt realisiert. Auf der offiziellen Webseite gibt es ganze 12 Trailer zu dem 5 1/2 Stunden-Mammuntwerk zu sehen, das zwischen 2017 und 2020 gedreht wurde. Thema ist die „Soziale Dreigliederung“ – eine neue Gesellschaftsform, basierend auf Ideen des Anthroposophen Rudolf Steiner. Die Idee einer neuen „Volksherrschaft von unten“ ist bei Esoterikern und Querdenkern zunehmend beliebt. Der Filmemacher forderte erst kürzlich die Akzeptanz rechtsextremer Strömungen in der Anthroposophie.
Der Film „Von Vor dem Sturm oder die Dreigliederung des sozialen Organismus„, der im Februar 2023 Premiere hat, hat laut Filmemacher Rainer Schnurre eine „Mission“: Er solle ein „grundlegendes Verständnis“ für die „Dreigliederung“ hervorrufen und richte sich daher an alle, die die „brenennde soziale Frage schon als lodernde Realität erleben„.
Brisant: Der Filmemacher Rainer Schnurre forderte Akzeptanz für rechtsextreme Positionen innerhalb der Anthroposophie. Er verbreitet staatsfeindliche Thesen, verleugnet die Existenz einer Demokratie in Deutschland und will sich auch zukünftig „nicht regieren“ lassen. Als Aktivist der Dreigliederungs-Bewegung bewegt er sich in einem Umfeld aus Verschwörungsideologen und Umstürzlern. Deren Aktivist_innen meinen: Die Medien, der Wissenschafts- und der Medizinbetrieb sollten künftig vom Volk bestimmt werden: Das sei ein Hebel, um missliebige Berichterstattung zu beenden, Pseudowissenschaft der Wissenschaft gleich zu stellen und Scharlatanen die Mitentscheidung im Medizinbetrieb zu geben.
Was will die Soziale Dreigliederung?
Die „Soziale Dreigliederung“ entstammt der esoterischen Weltanschauung „Anthroposophie“ Rudolf Steiners, der sein Konzept ab 1898 entwickelte. Steiner, ein gescheiterter Philosoph und selbst ernannter Hellseher, formuliert darin eine neue Gesellschaftsform, die gesamtgesellschaftliche Prozesse neu strukturieren sollte.
Unsere Gesellschaft bestehe aus dem „Geistesleben„, beispielsweise mit Wissenschaft, Kunst und Kultur, dem „Rechtsleben“ mit der Gesetzgebung und dem „Wirtschaftsleben„, also Produktion, Handel und Konsum. Diesen drei Bereichen werden die Ideale der Französischen Revolution zugeordnet: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Zusammen ergäben die Lebensbereiche den „sozialen Organismus„. Dem Staat soll seine Rolle als zentrale Machtinstanz verlieren und seine Aufgaben sollten von der Gesellschaft selbst übernommen werden – laut Steiner ausdrücklich von jedem „mündigen Menschen„. Wer dabei als „mündig“ gelten darf, wird später zu besprechen sein.
Durch diese Gesellschafsform sollen Wirtschaftsinteressen nicht über Wissenschaft oder Kultur bestimmen können, Gesetze, insbesondere das Arbeitsrecht, vom Volk selbst bestimmt werden dürfen und das Privateigentum an Produktionsmitteln solle in eine Art Treunhandeigentum umgewandelt werden, dass durch Schenkungen übertragbar wäre. Durch die Selbstverwaltung der „drei Glieder“ wären sie selbstständig und voneinander unabhängig.
Der Staat würde so weitgehend seiner Macht und seines Einflusses beraubt: Er könnte zum Beispiel eine Schulpflicht beschließen, die Unterrichtsinhalte und Lehrpläne oder die Ausbildung der Lehrkräfte jedoch nicht vorgeben – diese würden vom Volk durch die „Freiheit des Geisteslebens“ selbst bestimmt:
„In dieser demokratischen Verwaltung ist ein Parlament durchaus am Platze. Aber in einem solchen demokratischen Parlament kann niemals entschieden werden über das, was sich auf dem Boden des Geisteslebens, auch auf dem Boden des Erziehungs- und Unterrichtswesens, zu vollziehen habe. (….) Es muß also aus dem Parlamentarismus herausgenommen werden die Verwaltung des Geisteslebens. Wer glaubt, daß da ein demokratisches Parlament herrschen soll, der mißversteht gründlich gerade den Antrieb zur Dreigliederung des sozialen Organismus.“ (Rudolf Steiner, Gesamtausgabe Band 332a, S.40f)
Anthroposophisch geprägte Institutionen wie die GLS-Bank oder die Waldorfschulen, aber auch die aus der Querdenker-Szene hervorgegangenen Kleinparteien „Basisdemokratische Partei Deutschlands“ und „Wir2020“ bzw. „WIR2020“ haben die „soziale Dreigliederung“ als Grundlage. Auch in der pseudowissenschaftlichen „biodynamischen“ Landwirtschaft nach Demeter findet sie sich wieder.
Steiners Idee, den heutigen Staat zu entmachten und durch eine Art der Volksherrschaft zu ersetzen, findet bei Verschwörungsideolog_innen, Staatskritiker_innen und Rechtsextremist_innen großen Anklang. Laut dem Anthroposophie-Kenner und Autoren André Sebastiani („Anthroposophie – eine kurze Kritik„) hat die „Dreigliederung“ ein „biologistisches Gesellschaftsverständnis“ und ist mit modernen Demokratietheorien „unvereinbar„.
Aktivist, Esoteriker und Verschwörungsideologe
Der Hildesheimer Anthroposoph, Autor und Vortragsredner Rainer Schnurre ist langjähriger Aktivist für Rudolf Steiners „Dreigliederung“. Sein Filmprojekt habe aber mangels Interesse und Finanzierung seit 2017 zur Realisierung gebraucht. Als dann endlich die Drehzeit anbrach, sei diese „von wahrnehmbarem Schutz umgeben“ gewesen: Trotz schlechter Wetterberichte habe es nicht viel Regen gegeben.
Auf seiner Webseite „alternativ3gliedern“ veröffentlicht Schnurre Artikel, Aufsätze und „Briefe“ zum Thema. Im seinem letzten Brief, gerichtet an das „Volk der Deutschen“ polemisiert Schnurre gegen die Regierung und leugnet die Existenz einer Demokratie in Deutschland:
„Wir werden von den uns Regierenden mit raffiniertesten Mitteln gezwungen, die uns unterjochenden westlichen Siegermächte als unsere Retter und Beschützer anzuerkennen. In dieser «psychologischen Kriegsführung» gegen unser Volk, ist die Wahrheit das erste Opfer geworden.“ (Rainer Schnurre, „Notwendige Meditationen zu Deutschlands Gegenwart und nächster Zukunft„, 20. Juli 2022)
Nötig sei eine „Befreiung des deutschen Geistes“ und eine „Verwirklichung der Christus gemäßen Gestalt im gesamtgesellschaftlichen Organismus, durch die «soziale Dreigliederung»„. In anderen „Briefen“ Schnurres geht es um angeblich gleichgeschaltete Medien, einer „Tyrannei“ durch den „Einheitsstaat„, gegen dessen „fürchterliche Angriffe“ man sich wehren solle: „Der freie Mensch lässt sich nicht regieren.“
Zu Schnurres Freiheitsbegriff gehört offenbar auch die Akzeptanz rechtsextremer und nationalistischer Haltungen. Im November 2022 veröffentlicht er einen „Aufruf Zum Zusammenhalt“ innerhalb der anthroposophischen Bewegung:
Filmemacher und Filmteam fordern Akzeptanz für Rechtsextreme
„Kritische“ und „selbstständig Denkende“ würden, so Rainer Schnurre, „diffamiert und verleumdet“ – und das nicht nur von außerhalb der Anthroposophie, sondern aus den eigenen Reihen. Als Opfer dieser „Inquisition“ nennt Schnurre konkret „Axel Burkart, Martin Barkhoff, Caroline Sommerfeld-Lethen, Thomas Meyer„. Diese würden von „geistigen Brandstiftern“ in die politische Nähe der „Neuen Rechten“ gerückt:
„Wer, insbesondere in Deutschland, einmal als «Nazi» diffamiert wurde, wird diese Verleumdung kaum mehr los. – Man braucht es ja nur zu behaupten. Das wirkt dann schon.“ (Rainer Schnurre, „Aufruf Zum Zusammenhalt„, November 2022)
Dokumentarfilmer Schnurre und sein Filmteam fordern also einen „Zusammenhalt“ mit Protagonist_innen, unter denen bekennende Rechtsextremist_innen sind:
- Caroline Sommerfeld, ehemalige Angestellte einer Waldorfschule und Waldorf-Mutter, ist eine bekannte rechtsextreme Aktivistin, die sich selbst der „Identitären Bewegung“ zuordnet. Zuvor lebte sie in Berlin „ganz in der anthroposophischen Szene„. Die völkisch-rassistische „Identitäre Bewegung“, mit der Sommerfeld auf Fackelmärschen auftritt, wird in mehreren Ländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie veröffentlicht im Verlag „Antaios“ des rechtsextremen Politaktivisten Götz Kubitschek – auch der Verlag wird vom deutschen Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ beobachtet.
- Martin Barkhoff, ehemaliger Redakteur des anthroposophischen Magazins „Das Goetheanum“ und ehemaliger Pressesprecher der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, schrieb mit Sommerfeld 2021 das Buch „Volkstod – Volksauferstehung„. In diesem Breifwechsel zwischen Barkhoff und Sommerfeld werden Mythen von einer geplanten und inszenierten „Plandemie“ und die antisemitische Verschwörungserzählung vom „Great Reset“ verbreitet.
- Thomas Meyer ist Waldorflehrer und publiziert die extrem rechte und anthroposophisch geprägte Monatsschrift „Der Europäer„. Autoren sind unter anderem der Rechtspopulist Gerhard Wisnewski, der pro-russische Verschwörungsideologe Daniele Ganser und der Umstürzler und Waldorflehrer Nicholas Dodwell. Die Themen des „Europäers“ reichen von UFOs und Atlantis, dem Dämonen Ahriman oder 9/11-Verschwörungstheorien bis hin zur „Kriegsschuldlüge“.
- Axel Burkart, Anthroposoph und Autor publiziert im rechtsextremen und rechtsesoterischen Kopp-Verlag. Das laut Verfassungsschutz „gesichert rechtsextreme“ Magazin „Compact“ von Jürgen Elsässer bewirbt Burkarts Bücher unter der Überschrift „Mit Rudolf Steiner gegen den Great Reset„. Burkarts Buch gebe Aufschluss darüber, warum der „Mainstream“ so gegen Rudolf Steiner hetze und „Linke“ diesen nicht verstünden.
Filmemacher Rainer Schnurre fordert „freie offene Gespräche“ mit Aktivist_innen mit antisemitischen, rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Positionen. Ihre politische Ansichten leugnet Schnurre ganz offen.
Zu den Erstunterzeichner_innen des Aufrufs gehören auch Mitgliederinnen aus Schnurres „Von Vor Dem Sturm„-Filmteam: Doris Buchrucker („Actor„), Gabriele Radig und Ina Walther („Support„) und Heike Christeleit („Music, Composition Song & Singing„).
„Bündnis Soziale Dreigliederung“ wirbt mit antisemitischer Karikatur
Die „Soziale Dreigliederung“ Rudolf Steiners scheint für viele Anthroposoph_innen und Querdenker_innen ein Mittel zu sein, um aus unserer vorgeblich nur scheinbaren Demokratie wieder eine echte Volksherrschaft zu machen. Es ist der Versuch einer Herrschaft von „unten“. Presse, Medizin und Forschung, so liest man zum Beispiel beim „Bündnis Soziale Dreigliederung“, seien lediglich Marionetten, gesteuert von finsteren Kräften.
Eine Werbe-Postkarte des „Bündnis“ mit dem Titel „Zur eigenen Urteilsbildung“ zeigt die Hand eines Anzugträgers mit spitzen Fingernägeln, welche Journalisten, Medizinerinnen und Wissenschaftler lenkt. Eine Schere mit der Aufschrift „soziale Dreigliederung“ schneidet den Marionetten die Fäden durch. Es ist das verschwörungstheoretische Bild einer Scheindemokratie, in der die Gesellschaft unfrei und manipuliert ist – und durch eine Gesellschaftsreform nach Rudolf Steiner davon befreit würde.
Für das Druckwerk, dass Assoziationen mit der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten hervorruft, ist der Anthroposoph Axel Burkart verantwortlich. Burkart ist Gründer der „Rudolf Steiner Gesellschaft e.V.“, die sich mit dem Bund der Freien Waldorfschulen um die Namensrechte an „Rudolf Steiner“ streitet, die dem Bund gehören. Auch in der Querdenker-Szene ist Burkart gern gesehener Gast: Seine Thesen hörte man bei Protesten gegen Corona-Schutzmaßnahmen und er trat beim Vertreter der antisemitischen „Great Reset“-Verschwörungstheorie Gunnar Kaiser auf.
Im Dezember 2022 gab es Widerstand gegen den Auftritt Burkarts bei der Anthroposophischen Gesellschaft Stuttgart (AGS). Burkart sollte im Rudolf-Steiner-Haus einen Vortrag zu den „Spirituellen Hintergründen des aktuellen Zeitgeschehens“ halten und ein Tagesseminar leiten. Nach Kritik sagte die AGS die Veranstaltung ab – man habe nicht gewusst, dass Burkarts Thesen „kontrovers diskutiert“ würden. Die Stuttgarter Zeitung stellte zum Thema des „Rechtsesoterikers“ Burkart „wieder einmal“ die Frage, ob die Anthroposophie „offen nach rechts“ sei.
Die „Dreigliederung“ als radikale Umsturz-Bewegung
Schon seit Beginn der Corona-Proteste sind Anthroposoph_innen und ihre „Dreigliederungsbewegung“ fester Teil davon. Zwischen Corona-Leugnern, Gegnern von Schutzmaßnahmen, Staatskritikern und Rechtsextremen sah man immer wieder Schilder mit der Forderung „Soziale Dreigliederung jetzt!“. Darunter in Halle, wo der anthroposophische ‚Mediziner‘ Andreas Grüner im Juni 2020 demonstrierte oder in Freiburg im Februar 2022. Die Rückseite des Plakats „Soziale Dreigliederung JETZT“ lautete „Einheits-Staat und Impf-Diktatur – Nein Danke!“
Ebenso waren vielerorts Vertreter der rechten Querfront-Parteien „Deutsche Mitte“ und deren Abspaltung „Neue Mitte“ zugegen, die eine angeblich mangelnde Souveränität Deutschlands beklagen und sich auf den Anthroposophen Rudolf Steiner berufen.
Im September 2020 sprach der Karlsruher Waldorflehrer Nicholas Dodwell auf einer Querdenken-Demonstration von einer Fake-Pandemie, Zwangsimpfungen und manipulierten Staatsmedien. Der Alternativpädagoge verbreitete zahlreiche Verschwörungserzählungen, darunter die der „Millionen Demonstranten von Berlin„: Danach sollen damals 1,3 Millionen Menschen gegen Corona-Schutzmaßnahmen auf die Straße gegangen seien, nach Aussage der Polizei waren es eher 20.000.
„Ich finde, wir haben ein Problem, dass nicht genügend Leute uns zuhören. (…) Wir hatten ja eine Million in Berlin. Und trotzdem sind wir weit davon entfernt, die Regierung zu stürzen. (…) Es gibt Grund, das zu wollen! [Applaus brandet auf] Okay, wir sind uns einig.“ (Nicholas Dodwell, Querdenken 721 Karlsruhe, 26. September 2020)
Auch Dodwell sprach von Freiheit. So würden staatliche Corona-Vorschriften für die Waldorfschule nicht gelten: „Ich bin von der Freien Waldorfschule, wir haben einen freien Träger, wir müssen uns nicht darum kümmern.„. Für den „Sturz der Regierung“ hatte Dodwell bereits ein Konzept: Die Soziale Dreigliederung sei eine Möglichkeit, feindliche Propaganda-Medien „an die Leine zu nehmen„.
„Wir sind gegen die Maskenpflicht. Wir sind gegen die Fake-Pandemie. Wir sind gegen all die anderen Maßnahmen, die uns einschränken. Wir möchten zurück zum Grundgesetz. Meine Frage ist, ob das Grundgesetz reicht, um eine neue Gesellschaft zu kreieren, wo so etwas besser bekämpft werden kann… Wo zum Beispiel die Propaganda-Medien irgendwie an die Leine genommen werden können. Die sind ja mit unser größter Feind.“ (Nicholas Dodwell, Querdenken 721 Karlsruhe, 26. September 2020)
Dreigliederer erstellen Dossiers über Kritiker
Kritisch berichtende Medien als „größter Feind“. Die „Soziale Dreigliederung“ als Mittel, die freien Medien „an die Leine zu nehmen“. Wen man noch so gerne an die Leine nehmen würde, wird auf den Seiten des „Instituts für Soziale Dreigliederung““ klar.
Das Berliner Institut des Anthroposophen Sylvain Coiplet veröffentlicht dort Dossiers über Kritiker_innen, Politiker_innen und viele andere. Meine eigene Akte, in der man mich fälschlicherweise als hauptberuflichen Gentechnik-Aktivisten einer Firma BioLinxx „enttarnt“ hatte, habe ich per Anwalt erfolgreich abmahnen lassen.
In einem Artikel des Dreigliederungs-Instituts springt Johannes Mosmann dort dem Verschwörungsideologen Axel Burkart zur Seite: Der habe das Recht, Rudolf Steiner zu „interpretieren wie er möchte„.
Mosmann, Geschäftsführer der Freien Waldorfschule Berlin, schrieb dort auch von der öffentlich-rechtlichen „Lügenpresse„, leugnete Corona-Gefahren, raunte über Verstrickungen von Bill Gates und brachte bereits in der Überschrift eines Artikels die antisemitische Verschwörungstheorie von der „Neuen Weltordnung“: „Corona-Virus: Menschheit am Scheideweg – Wie im Schatten der Krise die Welt neu geordnet wird„.
Die Anthroposophie erscheint als der esoterische Arm der Querdenker-Bewegung. Auf Corona-Demos waren Mitglieder der Waldorfschulen stark vertreten, teilweise wurden die Proteste aus den Schulen heraus organisiert. Auch Mediziner_innen, Bio-Läden und sogar die Rudolf-Steiner-Kirche „Christengemeinschaft“ verloren sich in Verschwörungstheorien und wetterten gegen Corona-Schutzmaßnahmen.
Aus den Querdenker-Demonstrationen entstanden eine Reihe politischer Kleinparteien wie „Wir2020“ oder „Die Basis„, die sich teils explizit an Rudolf Steiners „Sozialer Dreigliederung“ orientieren. Beraten wurden sie dabei von Anthroposophen wie dem Stuttgarter Waldorf-Funktionär und Querdenken-Redner Christoph Hueck.
Querdenker-Parteien setzen auf Rudolf Steiners Konzept
Auch Querdenker_innen sind begeistert von der Idee, in der kommenden Gesellschaft zu den „Entscheidern“ gehören zu können.
„Was „Fakten“ sind, soll künftig diskutabel werden. So wollen die Protestparteien beispielsweise abstimmen lassen, welche Inhalte an Schulen gelehrt werden dürfen oder was nach Volkes Meinung alles „Medizin“ sei. Da sollen Heilpraktiker den Ärzten gleichgestellt werden und Pseudomedizin der evidenzbasierten Medizin. Offenbar müssen Fakten zuallererst zur Gesinnung der Abstimmenden passen. Angesichts tief in der Gesellschaft verankerter Verschwörungsmythen eine mehr als düstere Aussicht, dass die neuen Protestparteien erfolgreich sein könnten.“ (Oliver Rautenberg, „Wieviel Anthroposophie steckt in den neuen Corona-Protest-Parteien?„, 07. Mai 2021)
Ziel der Querdenker-Partei „Die Basis“ sei es, „beim Aufbau und Ausbau eines demokratischen Rechtsstaates (…) mitwirken [zu] wollen.„. Insbesondere die „Meinungsfreiheit“ müsse „unbedingt wiederhergestellt werden„. Wo Demokratie und freie Rede nicht mehr existierten, müsse man die Soziale Dreigliederung anwenden:
„[Die neue Politik] soll Sorge tragen, dass alle Lebensbereiche sich diesbezüglich erneuern: das soziale Leben im Sinne der Freiheit, das Wirtschaftsleben im Sinne der Brüderlichkeit und das Rechtsleben im Sinne der Gleichheit. Das bedeutet auch, dass der Mensch anerkennt, dass er Teil des Gesamten ist.“ (dieBasis – „Satzung„, Präambel, abgerufen am 05.03.2021)
Die „Entflechtung“ der Gesellschaft als Grundprinzip der Protestpartei. Es wäre eine Herrschaft von Querdenker_innen für Querdenker_innen, in denen abgestimmt werden kann, was Fakten sind. Die „AG Soziale Dreigliederung nach Rudolf Steiner“ von „DieBasis“ veröffentlicht dazu einen eigenen „Rundbrief“ – der immer mehr pro-russischen Politikaktivismus enthält. Darin ein alter Bekannter: Waldorflehrer Nicholas Dodwell, der der Ukraine die Hauptschuld am Abgriffskrieg Russlands zuschreibt.
Nicht zuletzt ist es der Reichsbürger-nahe Querdenken711-Gründer Michael Ballweg selbst, der sich öffentlicht für die Errichtung der „Dreigliederung“ ausspricht.
Land Nordrhein-Westfalen unterstützt Dreigliederungsbewegung
Wie die esoterische Weltanschauung Anthroposophie ist auch ihre „Dreigliederung“ so weitgehend unbekannt wie auch weitgehend unbeachtet. Auch in der anthroposophischen privaten „Alanus Hochschule“ spielt sie eine Rolle. Darunter bei der „Public Climate School“ im Mai 2022, bei der es neben Klimaschutz und Nachhaltigkeit auch um esoterische Waldorfpädagogik, Äther- und Astralleibe und die anthroposophische „Dreigliederung“ ging. Redner_innen der Alanus-Veranstaltung hatten zuvor Front gegen „illegale“ staatliche Corona-Schutzmaßnahmen gemacht.
Überraschend ist, dass der Staat die Umtriebe der staatsfeindlichen Möchtegern-Umstürzler auch noch selbst finanziert:
„Spielen Sie mit!“ rief ein Plakat der Bochumer „fakt21 Kulturgemeinschaft gGmbH“ im Mai 2022 auf. Fakt21 ist Träger des „Forum Weiterbildung“ als staatlich anerkanntes Bildungswerk. Man bietet Eurythmie und Kreistänze an, aber auch eine Jahresfortbildung „Reinkarnation und Karma“.
Beworben wird „Dreigliederung – Das Planspiel“. Slogan: „Die Dreigliederung ist umgesetzt. Was würde passieren?“. Dieses Seminar wurde gefördert von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen.
Die Anthroposophie-Zentrale bewirbt das Filmprojekt
Der Einfluss anthroposophischer Esoterik auf Rechtsextremisten, Querdenker und Umstürzler_innen ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht zuletz mit dem Fakt im Hinterkopf, dass der „Sturm auf den Reichstag“ durch Rechte, Reichsbürger und Esoteriker von einer anthroposophischen Heilpraktikerin und Waldorf-Mutter angeführt wurde. Vor diesem Hintergrund und dem Gebaren der Dreigliederungs-Bewegung ist es im so unverständlicher, dass die Schweizer Anthroposophie-Zentrale Goetheanum für den Film des Verschwörungsideolgen wirbt und Schnurre in ihrem Nachrichtenblatt „Anthroposophie weltweit“ schon im Jahr 2020 Eigenwerbung für sein Projekt machen durfte.
Ungeachtet des Inhalts des Films sollten die anthroposophischen Organisationen ihren Umgang mit dem Filmemacher und der Dreigliederungs-Bewegung sorgfältig überdenken. Eine rechtsoffene oder gar rechte Strömung mit Umsturzphantasien kann innerhalb der Anthroposophie nicht länger toleriert werden.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, der Film „Von vor dem Sturm“ werde in verschiedenen anthroposophie-nahen Einrichtungen gezeigt. Das war falsch. Dabei handelt es sich um ein anderes aktuelles Filmprojekt zur „Sozialen Dreigliederung“. Ich habe dies korrigiert.