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Wider die Maskenpflicht: Rettet den Astralleib!

Der Bund der Freien Waldorfschulen wünscht ein wunderbares „Schulahr“ 2020. Das Bild ist dabei Botschaft: Man will frei sein, auch von Mund-Nasen-Schutz oder Abstandsregeln.
Quelle: Twitter-Kanal der Waldorfschule

Waldorf-Eltern proben den Aufstand. Gemeinsam mit Waldorfpädagog*innen wehren sie sich im offenen Brief an den Waldorf-Bund gegen verpflichtende Corona-Maßnahmen an Schulen in NRW – insbesondere gegen die Maskenpflicht

Passend zum Schulstart nach dem Sommerferien kursiert ein offener Brief besorgter Waldorfeltern und Waldorfpädagogen aus verschiedenen Schulen: Der Bund der Freien Waldorfschulen möge sich gegen die in NRW bestehende Maskenpflicht für Schüler*innen engagieren. Diese würde Kinder nicht schützen, sondern krank machen, sie verängstigen und in ihrer spirituellen Entwicklung stören.

Wir fordern daher den Bund der Freien Waldorfschulen auf, sich öffentlich dazu zu positionieren und auf der politischen Ebene gegen die Maskenpflicht an Schulen vorzugehen.“ (Offener Brief von Eltern und Lehrer freier Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen an den Bund der Freien Waldorfschulen, Krefeld, 10.08.2020)

Die Argumentation der Waldörfler ist bekannt: Es sei nicht bewiesen, dass Masken gegen das Corona-Virus schützten oder ob Schüler überhaupt ein Infektionsrisiko darstellen; dafür gebe es keine Belege. An den Kindern werden eine nicht hinnehmbare, „unfreiwillige Feldstudie“ durchgeführt. Sie sollten besser aus spiritueller, nicht aus rein „materieller“ Sicht gesehen werden – sonst drohten sogar Angststörungen.

Viren machen nicht die Krankheit

Im offenen Brief wird der Schulgründer und Hellseher Rudolf Steiner mit einer gewagten These zitiert: Viren machten gar nicht krank. Der Erfinder der esoterischen Weltanschauung „Anthroposophie“ hatte – ohne jegliche medizinische Kenntnisse – eine eigene, esoterisch-kosmologische Pseudomedizin erfunden. Und aus der stammt die These des offenen Briefes, Erreger seien „nicht die primären Ursachen von Krankheiten“.

Die Darstellungen Steiners, nach denen Erreger nicht die primären Ursachen von Erkrankungen sind, sind Ihnen sicherlich bekannt.“ (Offener Brief von Eltern und Lehrer freier Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen an den Bund der Freien Waldorfschulen, Krefeld, 10.08.2020)

Das Prinzip von Ursache und Wirkung wird in der den Esoterikern eigenen anthroposophischen „Medizin“ auf den Kopf gestellt. In der Tat hatte der Gründer der esoterischen Glaubensgemeinschaft der Anthroposophen bei einem Vortrag im Jahre 1922 behauptet, „Bazillen machen nicht die Krankheit„. Umgekehrt würden Bazillen (Viren waren damals noch unbekannt) einen Körper dann befallen, wenn dieser bereits aus anderen Gründen erkrankt sei.

Die Ursachen für Krankheiten sehen Anthroposophen auch bedingt durch das eigene schlechte Karma, durch Vergehen in einem der vorherigen Leben. Bei Krankheiten gerieten die „Körperhüllen“ des Menschen, also von Steiner postulierte und unsichtbare Äther- oder Astralleibe, in Disharmonie. Ein solchermaßen gestörter Körper sei demnach anfällig für Krankheiten. Der „Zusammenhang von seelischer und körperlicher Gesundheit“ sei ja „auch in der „Schulmedizin mittlerweile erforscht“.

Auf die abenteuerliche These der harmlosen Viren berufen sich zur Zeit verschiedenste anthroposophische Pseudomediziner: Da sind es wahlweise schädliche Planetenkonstellationen oder der Handystandard 5G, die das Coronavirus angeblich ausgelöst hätten. Hilfreich dagegen, so auch die Webseite des Waldorf-Bundes, seien Eurythmie-Tänze – oder Globuli aus dem Weltall.

Corona-Angst schädlicher als Corona

Anstatt von Corona-Maßnahmen wie Abstand zu halten und Masken zu tragen sähen die Waldörfler lieber das Immunsystem der Kinder gestärkt. Eine „angstvolle Atmosphäre“, der Abstand und das Tragen von Masken bewirkten jedoch „genau das Gegenteil“. Belege für die These gibt es keine.

Seit Monaten feuern Anthroposophen aus allen Rohren gegen die Corona-Maßnahmen. Die Waldorfbewegung nimmt an „Hygiene-Demos“ teil, organisieren diese sogar selbst, stellt die Redner. Esoterischen Ärzte machen Front gegen Masken. Und eine Waldorfschule in Jena war es, die als erste gegen eine Maskenpflicht vor Gericht ging.

Sie sind sicher: Abstand, Hygiene, Mund-Nasen-Schutz sind unbedingt zu vermeiden:

Jede erforderliche Maßnahme zum Schutz vor Infektion sollte also auf das Minimum reduziert werden.“ (Offener Brief von Eltern und Lehrer freier Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen an den Bund der Freien Waldorfschulen, Krefeld, 10.08.2020)

Danach wird im Brief auf die gesunde Entwicklung der Lernfähigkeiten der Kinder im „zweiten Jahrsiebt“ gepocht. Im zweiten – was?

Die Waldorfpädagogik an den esoterischen Privatschulen geht von einer sprunghaften Entwicklung der Kinder in magischen Sieben-Jahres-Schritten aus. Alle sieben Jahre bildeten diese einen Ätherleib, dann einen Astralleib und schließlich das „Ich“ aus. Die Unterrichtsinhalte und -Methoden wählen Waldorfschulen danach aus, in welcher dieser vom Hellseher Steiner ersponnenen Entwicklungsstufen das Kind sich angeblich befindet.

Wir wissen, dass für Kinder bis zum 2. Jahrsiebt das Lernen stark von der emotionalen Beziehung zum Lehrer abhängt. Die Kinder müssen dazu aber das Gesicht des Gegenübers wahrnehmen können, welches jetzt durch die Maske verhüllt werden soll. Dadurch werden die sozialen Beziehungen stark gestört.“ (Offener Brief von Eltern und Lehrer freier Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen an den Bund der Freien Waldorfschulen, Krefeld, 10.08.2020)

Das Prinzip der „Jahrsiebte“ haben Waldorflehrer*innen bei der spirituellen Führung der Reinkarnation von Waldorfkindern zu berücksichtigen. Auch diese soziale Beziehung zum Lehrer ist es, so darf man vermuten, die so „stark gestört“ werde. Auch „Rezitieren, Singen, Flöten“ sei zurzeit nicht möglich – wie bitte soll der Astralleib so in rhythmische Schwingungen versetzt werden?

Rettet den Astralleib!

Den Verfassern ist wichtig, dass Kinder nicht nur aus dem „materialistischem Menschenbild“ heraus betrachten werden, dass nur das sicht- und fassbare zählen solle. Denn die Anthroposophen verfügen über zusätzliche, „höhere Welten“, die man nur mit der Gabe der Hellsicht erkennt. Geist und Seele, Karma und Bestimmung, Äther- und Astralleibe – für Uneingeweihte oder Schulmediziner sind diese unsichtbar. Dass sie deshalb aber außer Acht gelassen werden, wollen die Esoteriker nicht akzeptieren:

Allgemein ist zu sagen, dass unsere Kinder ohne Not mit den Erwachsenenproblemen belastet werden, von denen sie mindestens bis zur Pubertät nicht übermäßig konfrontiert werden sollten. Alle Maßnahmen vermitteln ihnen ein rein materialistisches Menschenbild, bei dem der Körper und körperliche Vorgänge dominant betrachtet werden und die seelischen, geschweige denn die geistigen Seiten des Menschen gar nicht vorkommen.“ (Offener Brief von Eltern und Lehrer freier Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen an den Bund der Freien Waldorfschulen, Krefeld, 10.08.2020)

Vor wenigen Tagen hatten sich bereits esoterische ausgebildete Mediziner des anthroposophischen Krankenhauses Witten/Herdecke in einem eigenen offenen Brief vehement gegen eine Maskenpflicht ausgesprochen. Die Erfindungen der Esoteriker klingen ähnlich: Durch Corona-Schutzmaßnahmen sei die kindliche Entwicklung in Gefahr, das Immunsystem leide, Kinder würden verängstigt und entwickelten sogar Zwangsstörungen. Auch hierfür fehlen Belege.

Die Verfasser dieses offenen Briefes befürchten ähnliches: Angststörungen.

Die Ängste und teilweise Angststörungen der Erwachsenen werden ungefiltert auf die Kinder übertragen. Und welches symbolische Bild gibt eine vollständig mit Masken bekleidete Schülergruppe ab? Wie wirkt das auf das Unbewusste?“ (Offener Brief von Eltern und Lehrer freier Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen an den Bund der Freien Waldorfschulen, Krefeld, 10.08.2020)

Kann man hier Selbsterkenntnis erahnen? Projizieren esoterisch geprägte Eltern und Pädagog*innen etwa ihre eigenen Ängste auf die Kinder? Das könnte sich als kontraproduktiv herausstellen.


Update 07.09.2020:

Screenshot Telegram-Gruppe „Waldorfpädagog*innen für Aufklärung“ ab 13.08.2020

Die Initiatioren wollen laut dem Telegram-Kanal „Waldorfpädagog*innen für Aufklärung* der Waldorflehrerin und -Ausbilderin Antje B.vom Institut für Waldorfpädagogik Witten/Annen schon bis zum 13. August 889 Unterschriften aus dem Umfeld von Waldorfschulen in ganz Deutschland gesammelt haben.


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