Nach Prüfung britischer Waldorfschulen durch Schulbehörde erhielten 8 von 10 Schulen schlechte Noten, einige wurden geschlossen. Privatschule engagiert Gefängnis-Inspektorin für Neuanfang
Die britische Schulbehörde OFSTED hatte im Januar 2019 beschlossen, die Waldorf – bzw. Steiner-Schulen des Landes einer qualitativen Prüfung zu unterziehen. Die Ergebnisse waren für die esoterische Privatschule ein Supergau: 8 von 10 Schulen erhielten eine schlechte Bewertung, die Hälfte der Schulen gilt sogar als komplett „unzureichend“. Einige Schulen mussten daraufhin schließen.
Die Schulinspektorin Amanda Spielman lieferte nach Abschluss der Untersuchungen einen Bericht an Bildungsminister Damian Hinds:
Als Kritikpunkte wurden vor allem die fehlende Sicherheit von Schülern, die unzureichende Qualität des Unterrichtes und der Leistungen der Schüler sowie die schlechte Führung vieler Schulen benannt.
„Von den 26 Steiner-Schulen, die wir inspiziert haben, wurden 13 als unzulänglich beurteilt, sieben wurden als verbesserungsbedürftig und sechs als gut eingestuft, wodurch 77% der Steiner-Schulen schlechter als mit „gut“ bewertet wurden, verglichen mit nur 15% der staatlich finanzierten Schulen. Darüber hinaus erfüllten 15 der 22 inspizierten unabhängigen Steinerschulen nicht die Standards für unabhängige Schulen.“ (OFSTED Chief Inspector Amanda Spielman – Brief an den britischen Bildungsminister Damian Hinds, 22. Juli 2019)
Schlechte Führung, schlechter Unterricht, schlechte Schüler
Die Behörde der Schulinspektorin Amanda Spielman bemängelte im Details folgendes:
Sicherheit nicht gewährleistet
Spielman zeigt sich „tief besorgt“, dass die Sicherheit der Schüler*innen oftmals nicht gewährleistet wurde. Die Befähigung von Mitarbeitern zum Umgang mit Kindern sei teilweise nicht geprüft worden. Wenn Kinder Risiken ausgesetzt waren, hatten Steinerschulen die zuständigen Behörden nicht informiert.
In einigen Fällen hätten Inspektoren sogar bemerken müssen, wie Kinder in Waldorf-Einrichtungen „unangemessen“ grob angefasst, zum Beispiel hochgezerrt und durch den Raum gezogen wurden.
Unterrichtsqualität und Leistungen der Schüler unzureichend
Die Qualität des Unterrichtes sei ebenso unzureichend wie die Leistung der Schüler – weniger als ein Drittel der Schulen war in diesem Bereich zufriedenstellend. Die Unterrichtsinhalte wären für die Altersklassen unangemessen und deutlich zu einfach, auch hätte es keine klaren Zielvorgaben gegeben.
Kinder mit Behinderungen wären „in vielen Schulen nicht gefördert“ worden, sie seien nicht anwesend gewesen oder sogar explizit vom Unterricht ausgeschlossen worden
Schulen schlecht geführt, Beschwerden sind zahlreich
Weiter bemängelte Spielman die schlechte Führung an jeder zweiten Schule: Die genauen Verantwortlichkeiten seien in den oft selbst verwalteten Kollegien oftmals nicht bekannt oder nicht klar vergeben.
Es gäbe eine Art Vakuum bei der Verantwortlichkeit, das sich auch an der hohen Anzahl an Beschwerden von Eltern über die Waldorfschulen zeige.
Neuanfang mit Gefängnis-Inspektorin
„Steiner schools chief: what my time in prisons taught me about the UK’s education mistakes„
Jetzt versucht die Waldorfschule einen Neuanfang und engagiert eine neue Leitung: Den britischen Bund der Waldorfschulen führt laut dem Guardian seit September die Anwältin und vorherige Gefängnis-Inspektorin Fran Russel. Selbstkritik äußert sie zunächst wenig: Nicht etwa an den Waldorfschulen, sondern vielmehr im Land laufe beim Thema Bildung etwas schief.
Eines der Probleme ist laut dem Guardian die Evolutionserzählung des Schulgründers Rudolf Steiner von „Black to Aryan„. Gemeint ist damit die angebliche Entwicklung der Menschheit vom Tier über den „niederen“ Schwarzen bis hin zum genialen Arier. Es habe Beschwerden über Rassismus in britischen Waldorfschulen gegeben. Russel wolle nun „umfassend prüfen“, warum die Schule nicht mehr schwarze und ethnische Minderheiten anzieht.
Die familiäre Struktur der Schulen sei problematisch, es fehle an „Führungskultur“. Das Waldorf-Konzept stellt Russel aber nicht in Frage. Das Beste für Kinder sei eine waldorfpädagogische Erziehung vom Kindergarten an. Die an Waldorfschulen weit verbreitete Impfgegnerschaft scheint für Russel kein Problem zu sein: Impfungen blieben auch in Zukunft eine „persönliche Entscheidung der Eltern„.
Auch die Unterrichtsinhalte, angepasst an angebliche Reinkarnations-Stufen des Kindes werden beibehalten: „Zunehmend sehe ich Kinder, die von frühzeitiger Alphabetisierung und von Tests überfordert sind.“. Die Waldorfschule verzögert das Lesen- und Schreibenlernen aufgrund hellseherisch begründeter Erkenntnisse über die Reinkarnation des Kindes bewusst.
Dieselben Probleme an vielen britischen Waldorfschulen
Schon vor den Untersuchungen der Schulbehörde gab es an vielen britischen Waldorfschulen untragbare Zustände. Das bewiesen die Untersuchungen, nach denen mehr als ein Dutzend Schulen offiziell die schlechteste Note „Inadequate“ (Unzureichend) erhielt.
Beispiel: Die von der Schulbehörde Ofsted geschlossene Steiner-Schule in York:
„Unzureichend sind: Führung und Management, Qualität des Lehrens, des Lernens und der Benotung, die persönliche Entwicklung, das Verhalten und das Wohlbefinden der Schüler sowie ihre Ergebnisse.“ (Britische Schulbehörde Ofsted über die Steiner School York, 2019)
Deutlicher als an nackten Zahlen erkennt man die Problematik, wenn man sich einige konkrete Vorfälle an Steiner-Schulen in den letzten Jahren anschaut.
Steiner-Schule Kings Langley: Drohbriefe, Geheimhaltung, Gewalt, Rassismus und Mobbing
Kritik gab es beispielsweise von Eltern der Steiner-Schule Kings Langley: Ein Lehrer, der wegen „grobem Fehlverhalten“ stillschweigend entlassen worden war, hatte weiterhin Kontakt zu ihren Kindern. Er lud sie zu sich nach Hause ein und ließ sie unter anderem „auf seinem Knie sitzen“.
Der Daily Telegraph schrieb 2018 über die „Vorzeigeschule“, sie sei „bis ins Mark verrottet„. Eltern, die sich beschwerten, erhielten Drohbriefe. Sie warfen der Schule „Vertuschung“ vor:
„Ein Aushängeschild unter den Steiner-Schulen soll aus Angst um die Sicherheit der Kinder geschlossen werden, nachdem herauskam, dass Eltern, die Alarm schlagen wollten, mit Drohbriefen zum Schweigen gebracht werden sollten. (…) Diese besagten: „Wir wissen, wo du wohnst. Wir kennen deine Kinder und wissen, wo sie hingehen“.
Ein Elternteil erzählte The Daily Telegraph, dass das Management der Schule einer „Kultur der Geheimhaltung“ vorstehe, die „bis ins Mark verfault“ sei.“ (The Daily Telegraph -„Durch und durch verfaultes Aushängeschild der Steiner-Schule soll geschlossen werden, besorgte Eltern erhielten Drohbriefe„, 24.06.2018)
Aus der im März 2019 geschlossenen Steiner School Kings Langley in Hertfordshire gab es Berichte über Gewalt, Rassismus und Mobbing:
Ein Lehrer habe obszöne Schimpfwörter gesagt, Kindern beim morgendlichen Handschlag weh getan, sie mit Horrorgeschichten über Enthauptungen verunsichert. Ein anderer Lehrer hatte einen Schüler mit dem N-Wort rassistisch beleidigt:
“Ihr Lehrer las ein Gedicht vor, in dem es hieß: Der kleine Junge hatte soviel Schokolade am Mund, dass er wie ein [N-Wort] aussah”. Als Eltern gemischter Ethnien waren sie aufgebracht und verlangten eine Anhörung, doch der Lehrer zeigte wenig Reue und die Schule machte keine Anstalten, den Betreffenden zu maßregeln. “Der Lehrer wurde nicht suspendiert, nichts.” (The Independent – „Die Steinerschulen haben einige fragwürdige Lektionen für die Kinder von heute„, 2016)
Auch Mobbing hätten die Lehrer nicht unterbunden: Eine Schülerin sei immer wieder von Mitschülern gemobbt und schließlich in einen Fluss geworfen worden. Die Lehrer wären nirgendwo zu sehen gewesen und hätten auch hinterher keine Anstalten gemacht, dem Kind zu helfen.
Die angesprochene Lehrkraft habe nur lapidar gemeint: „Oh, sie war selbst schuld.“
Wynstones Steiner School – Erhebliche Sicherheitsbedenken, schwerwiegende Fehler
Zu den geschlossenen Schulen gehört auch die Wynstones Steiner School in Gloucester, die wegen „erheblicher Sicherheitsbedenken“ und „schwerwiegender und weitreichender Fehler“ den Betrieb einstellen musste, berichtete die BBC im Januar 2020.
Ein ehemaliger Schüler der Wynstones Steiner School liefert einen erschütternden Bericht:
Er sei massiv gemobbt worden und die Lehrer hätten ihm selbst die Schuld daran gegeben, die Übergriffe hätten sie jedoch nicht gestoppt. Die anthroposophische Schulärztin sei eine „komplette Spinnerin höchsten Grades“ gewesen, die für seine Probleme sein Interesse an Computern verantwortlich machte: Das schade seinem „Astralleib“.
Obwohl er bei Schuleintritt schon schreiben konnte, habe er mit „riesigen Buntstiften malen“ müssen, er fühlte sich „wie im Kindergarten“. Später sei bei ihm das Asperger-Syndrom diagnostiziert worden – die Schule hatte davon nichts bemerkt.
Im Stroud News and Journal („Wynstones-Schule schließt nach vernichtendem Ofsted-Bericht„) zeigte sich der ehemalige Waldorfschüler im Januar 2020 glücklich über die Schulschließung: „Es wurde Zeit!“.
Dieser Erfahrungsbericht ist typisch für Erfahrungen von Kindern an Waldorfschulen in der ganzen Welt. Und obwohl die geschilderten Vorfälle über 30 Jahre zurückliegen, haben viele heutige Waldorfschulen noch immer dieselben Probleme:
Mobbing soll durch selbst verschuldetes schlechtes Karma bedingt sein und daher nicht unterbunden werden. Aus esoterischen Begründungen verzögert man bewusst wichtige Unterrichtsinhalte und verweigert den Kindern damit Bildungschancen. Weithin bekannt ist auch eine grundsätzliche Technikfeindlichkeit der Waldorfschulen: Fernsehen, Computer und digitale Medien werden oft abgelehnt.
Waldorfbewegung beklagt „Hexenjagd“ durch „Anti-Waldorf-Lobby“
Wie reagiert die Waldorf-Bewegung in Großbritannien auf die schlechten Beurteilungen durch die Schulbehörde? Einsicht zu zeigen oder Fehler einzugestehen ist generell nicht der Stil der Waldorfbewegung . Im Gegenteil, man bläst zum Gegenangriff:
Sylvie Sklan, ehemalige Vorsitzende des britischen Waldorf-Bundes Steiner Waldorf Schools Fellowship (SWSF) hält die Untersuchungen und ihre Ergebnisse für eine „Hexenjagd„, organisiert von einer „Anti-Waldorf-Lobby„. Solche Thesen kann Sklan praktischerweise ungefiltert über die anthroposophische Nachrichtenagentur NNA News verbreiten.
Vereinzelt gäbe es jedoch auch Stimmen, die Ofsted beipflichten – man müsse „mit der Zeit gehen“. Sklan übt sich in Zwangsoptimismus : Es gäbe „einen Silberstreif am Horizont“, auch wenn der noch nicht ganz zu sehen sei. Das eigentliche Problem scheint aber zu sein:
Die Schulbehörde hätte die freien Schulen benachteiligt, so die ehemalige Chefin des Waldorf-Bundes. Und: Die Behördenmitarbeiter könnten schlicht „nicht verstehen worüber sie da urteilen„.
Weitere Infos: Alle Berichte über die britischen Waldorfschulen können bei der Schulbehörde Ofsted online eingesehen werden.