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Charlie Hebdo: Anthroposophische Medizin und andere Wahnvorstellungen

Die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe von Januar 2020 der Anthroposophischen „Medizin“ des österreichischen Hellsehers Rudolf Steiner.

Unter dem Titel „Medizin-Esoterik an der Universität“ gehen die Satirikern insbesondere auf einen Lehrgang der Universität Straßburg zur „Grundausbildung in Anthroposophischer Medizin“ ein, über den ich im Januar bereits berichtet hatte:

„Die Tatsache, dass eine Universität anthroposophisch-medizinische Kurse anbietet, trägt dazu bei, die Grenze zwischen Vernunft und magischem Denken zu verwischen.“ (Charlie Hebdo)

„Die Universität Straßburg bietet eine Ausbildung in anthroposophischer Medizin an. Diese auf esoterischen, nebulösen Konzepten basierende Medikation führt u. a. zur Behandlung von Krebs durch Injektionen mit fermentierten Misteln.

Eine gefährliche Unterwanderung des okkulten Spiritualismus in einen Tempel des rationalen Denkens.“

Auf dem Lehrplan der Straßburger Universität, für den Homöopathen und anthroposophische „Mediziner“ verantwortlich zeichnen, stehen unter anderem die vier „Wesensglieder“ der Anthroposophie („Physischer Leib, Ätherleib, Astralleib, das Ich“) sowie die „Kardinal-Organe“.

Planeten, Temperamente und Dämonen

Die genannten Organe werden Planeten (darunter den „Planeten“ Sonne und Mond) zugeordnet und mit der antiken Temperamentenlehre verbunden werden.

So sei das Herz dem „Planeten Sonne“, dem „Element Feuer“ und dem „cholerischen Temperament“ zugeordnet. Anthroposophische Mittel, die Gold enthalten, sollen sogar per magischer „Fernwirkung“ heilen.

In der anthroposophischen Literatur gehören auch die „Versuchungen durch die Dämonen Ahriman und Luzifer“ zum medizinischen Schulungsprogramm. Ein Beispiel aus dem Buch „Médecine anthroposophique: un élargissement de l’art de guérir“ von Victor Bott (via Olivier Hertel):

Eine wissenschaftlich fundierten Nachweis für ihre Wirkung liefert die Hellseher-Medizin nicht, und sie muss es auch nicht: In Deutschland ist sie durch den Binnenkonsens vom Wirknachweis befreit. In Frankreich wendet sich die Ausbildung an „Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen, Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte„.


Charlie Hebdo über Anthroposophische Medizin, Sektenschulen und kosmische Landwirtschaft

Charlie Hebdo geht zu Anfang auf bekannte Praxisfelder von Rudolf Steiners esoterischer Weltanschauung ‚Anthroposophie‘ ein. Dabei kommen dessen Waldorfschulen oder die „biologisch-dynamische“ Landwirtschaft der Demeter-Verbände erwartungsgemäß nicht gut weg:

„Um Licht in diesen dunklen Tunnel zu bringen, wollen wir die Anthroposophie kennen lernen. Es ist eine esoterische und spirituelle Lehre, die der Österreicher Rudolf Steiner Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte. Sie behauptet, eine „Weisheit des Menschen“ – die wörtliche Bedeutung der Bezeichnung – zu sein, die der Natur nahesteht. Aber die Anthroposophie ist nicht nur eine Theorie, sondern hat auch sehr konkrete Anwendungen, zum Beispiel in der Erziehung (mit den berühmten Steiner-Schulen, die regelmäßig wegen ihrer sektiererischen Entgleisungen ausgezeichnet werden) oder in der Landwirtschaft (Biodynamik, die auf geheimnisvollen planetarischen Einflüssen beruht).“

Karma-Reinigung und seelische Entwicklung

Im Kern geht es den Satirikern aber um eine Art Adelung, die die anthroposophische Pseudomedizin durch französische Universitäten erfährt:

„In der Anthroposophie wird Krankheit als eine göttliche Botschaft gesehen, die mit Karma verbunden ist. Wenn Sie krank werden, ist dies als „Segen“ zu sehen, der Ihnen hilft, Ihre Sünden zu überwinden. Wenn man verhindert, dass sich Krankheit äußert, soll man den karmischen Prozess behindern und das Risiko erhöhen, in einem zukünftigen Leben noch ernstere Probleme zu haben. (…) Der anthroposophische Arzt versucht nicht so sehr, seinen Patienten von seinen Krankheiten zu heilen, sondern ihm eine Art Erlösung und Höherentwicklung seiner Seele zu ermöglichen.“

Anthroposophische Ärzte fälschen Impfbescheinigungen

Auch das in der Anthroposophie weit verbreitete Impfgegnertum bekommt sein Fett weg. Dazu kommt der Professor der Philosophie und Anthroposophie-Kritiker Grégoire Perra zu Wort:

„In diesem Zusammenhang ist es nicht überraschend, dass Impfungen nicht sehr beliebt sind. Offiziell sind die anthroposophischen Ärzte nicht frontal dagegen, aber Grégoire Perra korrigiert die Fassade: „Sie sagen, dass sie eher gegen Impfungen sind, aber in der Praxis habe ich gesehen, dass sie falsche Impfbescheinigungen machen. In der gleichen Logik sind auch Antibiotika verboten, weil sie das Karma behindern, „und soweit wie möglich sollte auch eine Operation vermieden werden““

Misteltherapie als „okkulter Schrott“

Natürlich wird auch die spezielle anthroposophische „Misteltherapie“ genannt. Auch die geht auf Hellseher Steiner zurück, der die Mistel als „Pflanzentier des Mondes“ mit einer besonderen „Aura“ erkannt haben will. Durch esoterisches Analogiedenken wurde die „Schmarotzerfplanze“ zum Mittel gegen den „Schmarotzer Krebs“ gemacht. Mistelpräparate sind heute die meistverkauften „alternativen“ Krebsmittel. In Frankreich wurde das Mistelpräparat „Viscum Album“ nach einem Skandal und Todesfällen verboten. Die Esoteriker (z. B. die anthroposophische Firma Weleda) verkauften es trotzdem weiter.

„Für schwerwiegendere Fälle wie Krebs haben die Anthroposophen ein Wundermittel: die Mistel. Genau, das sind Extrakte aus fermentierten weißen Misteln, die in der Nähe von Tumoren gespritzt werden. Warum Mistelzweig? A priori, warum nicht, es ist wahr, dass viele Pflanzen medizinische Eigenschaften haben. Außerdem hat die Mistel eine schöne druidische Seite, Asterix und Miraculix überhaupt. Nur dass in der anthroposophischen Theorie das Interesse der Mistel rein esoterisch ist (…)

Sicher ist auf jeden Fall, dass wir uns mit okkultem Schrott beschäftigen.“

Das Problem wird klar benannt: Die Hinwendung zu wirkungslosen Scheintherapien kann gefährlich sein.

„Das Problem dieser Art von Therapien ist jedoch, dass sie die Patienten in der Regel von den eigentlichen Behandlungen ablenken. Aus dem „zusätzlich zu“ wird schnell „statt“. Auf der Website der Universität Straßburg, die die Ausbildung in anthroposophischer Rheumatologie vorstellt, ist zu lesen, dass sie es ermöglicht, „konventionelle Behandlungen zu reduzieren oder sogar zu vermeiden“.

Anthroposophische Therapien bergen tödliche Gefahren

Zu den Gefahren von anthroposophischen Behandlungsmethoden sagt Perra weiter:

„Wenn man die anthroposophischen Ärzte kritisiert, sagen sie, dass sie nur eine Ergänzung darstellen. Aber bei ihren Patienten suggerieren sie, dass dies vielleicht ausreicht. Ich kenne Menschen, die an Krebs erkrankt sind und ihre konventionelle Behandlung aufgegeben haben, um mit der anthroposophischen Medizin geheilt zu werden, und sie sind daran gestorben“.

Das Fazit ist klar:

„Es ist eine Frage des Prinzips. Auch wenn die Medizin oft durch Versuch und Irrtum voranschreitet, muss sie auf einem rationalen Ansatz und der Bereitstellung von Beweisen beruhen. Die Tatsache, dass eine Universität anthroposophisch-medizinische Kurse anbietet, trägt dazu bei, die Grenze zwischen Vernunft und magischem Denken zu verwischen. Das brauchen wir nicht, vor allem nicht in der heutigen Zeit, in der sich das rationale Denken immer mehr von obskurantistischen Wahnvorstellungen zurückzieht.“

Und auch die Beweggründe der Universität liegen auf der Hand:

„Es muss hinzugefügt werden, dass die Ausbildung in Anthroposophischer Medizin mit mehr als 1.000 Euro pro Teilnehmer und Woche einen bedeutenden finanziellen Beitrag für die Universität Straßburg darstellen muss.“

Der Artikel von Charlie Hebdo zeigt erstaunlicherweise, dass die auf Hellseherei basierende anthroposophische „Medizin“ doch zu etwas gut ist:

Sie bietet eine hervorragende Vorlage für Satire.


1 Gedanken zu “Charlie Hebdo: Anthroposophische Medizin und andere Wahnvorstellungen

  1. ZITAT: „Ich kenne Menschen, die an Krebs erkrankt sind und ihre konventionelle Behandlung aufgegeben haben, um mit der anthroposophischen Medizin geheilt zu werden, und sie sind daran gestorben“.

    Und ich kenne Menschen die an Krebs erkrankt sind und sich vertraunsvoll in die Hände der konventionellen Chemotherapie begeben haben und die ein dreiviertel Jahr später an den Folgen der Chemotherapie verstorben sind.Vorher mußten sie noch unendlich starke Schmerzen aushalten,da nicht einmal mehr das Morphium anschlug.Die Schmerzen kamen nicht aufgrund des Krebses,sondern waren eine Folge der Chemotherapie.

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