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Ein Herz für Verschwörungsideologen: Daniele Ganser und die Anthroposophie

Der Schweizer Historiker Daniele Ganser ist der bekannteste Verschwörungsideologe Europas. Mit Thesen zu angeblichen NATO-Geheimarmeen, Verschwörungstheorien zu 9/11 oder der Erzählung einer nur „fiktiven“ Corona-Pandemie geht er auf Tour. Dem ehemaligen Waldorfschüler bieten insbesondere anthroposophische Einrichtungen immer wieder eine Plattform – und das schon seit Jahrzehnten. Auch in 2023 tritt Ganser wieder in Kreisen der Anthroposophie auf.

Daniele Ganser macht zurzeit mit Verschwörungstheorien rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Schlagzeilen. Professor Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Tübingen, nennt Ganser darum „brandgefährlich„: Als Vortragsredner, Autor und Funktionär bekannter „Alternativmedien“ wie Nachdenkseiten oder KenFM gelte er als „Star der deutschsprachigen Verschwörungsszene„. Dazu tritt der Schweizer als Redaktionsbeirat des Verschwörungs-Portals „Rubikon“ in Erscheinung und ist mit Medien wie Nuovision und den russischen Propaganda-Sendern „Russia Today Germany“ und „Sputnik.tv“ verbunden, warnt Michael Butter von der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Daniele Ganser hat seine Verschwörungstheorien zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell gemacht. So stellt er beispielsweise die islamistische Täterschaft bei 9/11 infrage und bezweifelt auch die Beteiligung von Neonazis an den Anschlägen auf das Münchener Oktoberfest von 1980. Die „wahren“ Täter vermutet er im Kreis westlicher Geheimdienste.

Sein Einkommen erzielt er vor allem aus den Tantiemen seiner Bücher in hunderttausender Auflage und aus den für seine Vorträge gezahlten Honoraren. Eine Gruppierung, die dem Schweizer Verschwörungsunternehmer immer wieder einlädt, sind die Anhänger der esoterischen Weltanschauung der „Anthroposophie“ Rudolf Steiners.

Bayerischer Rundfunk: Ganser verharmlost den Holocaust

Das Portal „Faktenfuchs“ des Bayerischen Rundfunks wirft dem Verschwörungstheoretiker konkret vor, den Holocaust zu verharmlosen. Im verschwörungstheoretisch gefärbten Film „Pandamned“ des Kolumnisten und Querdenker-Aktivisten Milosz Matuschek klingt Ganser so:

„Der Film ist auch, wie viele Verschwörungstheorien, antisemitisch: Im Video vergleicht zum Beispiel der als Verschwörungstheoretiker bekannte Daniele Ganser eine von ihm wahrgenommene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften mit dem „Dritten Reich“, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden verübten. Er sagt auf die Frage von Poels hin, ob es so eine Spaltung wie jetzt in der Geschichte schon einmal gegeben habe: Ja. Und dann wörtlich:

Oder im Dritten Reich Juden und Nazis, da haben die Nazis gesagt, die Juden, das sind Tiere und haben sie vergast. Oder in Kambodscha hat Pol Pot eine Revolution gemacht und hat gesagt, alle, die Brille tragen, das sind die klugen Menschen, das ist die Oberschicht, die müssen wir umbringen, ‚killing fields‘. Das heißt, es gab immer lokal in einzelnen Ländern gab es (sic) Wahnsinn, ist ja Wahnsinn. Aber jetzt ist weltweit Wahnsinn. Also das ist neu, dass eigentlich jetzt in der ganzen Welt diese Spaltung zwischen geimpft und ungeimpft ist und dass die zwei Gruppen wie zwei Armeen gegeneinander ziehen.“ (Daniele Ganser, zitiert vom Bayerischen Rundfunk BR24 in „#Faktenfuchs: Dieses Verschwörungs-Video enthüllt nichts„, 27. Mai 2022)

Die Geschäftsführerin des gemeinnützigen „Centers für Monitoring, Analyse und Strategie“ (CeMAS), Pia Lamberty, schätzt das wie folgt ein:

Die Aussagen von Ganser sind geschichtsrevisionistisch und holocaust-verharmlosend, und das ist eine Form des Antisemitismus.“ Und weiter: „Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden. Solche Aussagen waren auch bei vielen „Querdenker“-Veranstaltungen zu hören.“ (Pia Lamberty, zitiert vom Bayerischen Rundfunk BR24 in „#Faktenfuchs: Dieses Verschwörungs-Video enthüllt nichts„, 27. Mai 2022)

Trotz dieser problematischen Verbindungen in rechtsoffene und verschwörungsgläubige Milieus und der nachgewiesenen Fehler, bewussten Manipulationen und gezielten Falschinformationen Daniele Gansers erfreut sich dieser in Kreisen der esoterischen Weltanschauung „Anthroposophie“ einer großen Beliebtheit. Die Lehre des Hellsehers und Okkultisten Rudolf Steiner offenbart nicht erst seit der Pandemie ihre große Nähe zu Verschwörungserzählungen. Daniele Ganser besuchte 12 Jahre lang die waldorfpädagogische Rudolf-Steiner-Schule in Basel. Eben dort war er erst im Juni 2022 zu einem Vortrag eingeladen worden.

Ganser-Auftritt in Schweizer Waldorfschule geheim gehalten

Daniele Ganser sprach am 01. Juni 2022 vor rund 150 Schüler_innen der Rudolf-Steiner-Schule Basel. Der Verschwörungsideologe soll dort pro-russische Theorien verbreitet haben. Darunter: Die USA seien der wahre Aggressor hinter Russlands Ukraine-Angriff. Die Waldorfschule und Ganser selbst hielten die Veranstaltung jedoch geheim. Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) berichtete, trat Ganser während der Unterrichtszeit vor Oberstufenschülern auf – nicht etwa auf einer Abendveranstaltung, bei freiwilliger Teilnahme. Weder Ganser noch die Schule hatten die Veranstaltung zuvor angekündigt, auch die Elternschaft wurde nach Aussagen von Eltern im Vorfeld nicht über Gansers Auftritt informiert. Mit seinen Äußerungen sei der Schweizer klar „auf Kreml-Linie„, so der SRF.

Bei der anschließenden Aufklärung des Vorgangs verheddert sich die Rudolf-Steiner-Schule Basel in Widersprüche. Der Auftritt Gansers sei lediglich Teil einer „Vortragsreihe“ gewesen, an dem auch der Historiker Prof. Benjamin Schenk teilnehmen würde – doch Schenk widerspricht dieser Erklärung. Die Vortragsreihe gebe es gar nicht, berichtet der SRF. Schenk würde vielmehr als „Feigenblatt“ vorgeschoben, um eine ausgewogene Vortragsreihe vorzutäuschen. Der Historiker Schenk weist die Darstellung der Schule „entschieden und mit Nachdruck“ zurück.

Die Steiner-Schule verteidigte den Auftritt jedoch weiterhin: Man habe „andere Stimmen, auch umstrittene“ eingeladen, da die Schüler_innen sich eine „eigene Meinung“ bilden sollten. Laut Schenk gebe Ganser der Ukraine Schuld an dem russischen Angriffskrieg. Wer der Aggressor im wahrscheinlich völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine ist, ist jedoch keine „Meinung“, sondern laut seriösen Quellen wie dem UNHCR ein Fakt.

Verschwörungsunternehmer ist Dauergast in anthroposophischen Einrichtungen

Es bestehe seit Jahren eine „offensive Kooperation zwischen Anthroposophen und Verschwörungstheoretikern„, meldete der Schweizer „Tagesanzeiger“ bereits im Jahre 2018. Daniele Ganser tritt seit Jahrzehnten in anthroposophischen Einrichtungen wie der Waldorfschule, einer Privatuniversität oder Rudolf Steiners Schweizer Anthroposophie-Zentrale „Goetheanum“ auf.

Eine unvollständige Chronologie:

  • 2005: An der Rudolf-Steiner-Akademie Holzen sprach Ganser bereits im Jahre 2005 unter dem Titel „Ressourcenkampf und Geostrategie“ auch zum Thema der Terrorangriffe von 9/11. Mit dabei: Verschwörungsideologen wie der Compact-Autor Gerhard Wisnewski und Andreas von Bülow sowie der Anthroposoph Thomas Meyer, Gründer der rechts-esoterischen Zeitschrift „Der Europäer“. Ganser präsentiere „in der Wüste der vertrockneten Schlagwörter und Begriffshülsen, die am fünften Jahrestag der Katastrophe durch die Medien der Welt gehämmert wurden, eine erfrischende Oase wirklichkeitsgemäßer Analysen und Gesichtspunkte„, so „Der Europäer“
  • 2007 sprach Ganser am Goetheanum in Dornach, dem Hauptsitz der Schweizer Anthroposophen. Es folgten laut Tagesanzeiger mehrere „Interviews in der Goetheanum-Zeitschrift„. Der Schweizer habe den Rudolf Steiner-Esoterikern dort eine Steilvorlage für ‚Lügenpresse‘-Theorien geliefert.

Wer politische Ereignisse hinterfragt oder nach anderen Plausibilitätsmustern sucht, als die vom medialen Mainstream vermittelten, gilt schnell als Verschwörungstheoretiker.“ (Mathias Maurer, Magazin „Erziehungskunst – Waldorfpädagogik heute“ des Bundes der Freien Waldorfschulen – „Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung„, Oktober 2015)

  • 2017 erschien Gansers Buch „Nato-Geheimarmeen in Europa„. Für die deutsche Übersetzung war Jonas Lismont verantwortlich, ein ehemaliger Waldorfschüler, Anthroposoph und Mitarbeiter der Anthroposophie-Zentrale Goetheanum. Lismont ist Gründer der verschwörungsideologischen anthroposophischen Webseite „ÆTHER News„, für die auch Ganser schreibt.
  • 2018 hielt Daniele Ganser beim „Paracelsus-Zweig“ der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in Basel den Vortrag „Terror, Lüge und Wahrheit„. Von Rudolf Steiner habe er nach eigenen Angaben gelernt, „nicht so autoritätsgläubig“ zu sein. Mit dabei waren der ehemalige Waldorfschüler und Verschwörungsideologe Ken Jebsen, der selbst an mehreren Waldorfschulen auftreten durfte sowie der Waldorf-Musiker Elias Davidsson. Diese drei seien die „erste Fraktion der deutschsprachigen Verschwörungsmystiker„, so die Aargauer Zeitung:

Dass sich in der breiten Bewegung der Anthroposophen schon immer neurotische Esoteriker, Geschichtsrevisionisten (vor allem zum Ersten Weltkrieg) und selbst Holocaust-Leugner tummelten, ist bekannt. Doch in Zeiten von «Fake News» und von Verschwörungsszenarien, die über die sozialen Medien leichte Verbreitung finden, geraten die Steiner-Schüler zunehmend in den Einfluss von Agitatoren, die vom Wirken dunkler Mächte schwadronieren. Mit der Veranstaltung im «Scala» kommen die Konspiratisten der anthroposophischen Zentrale, dem Goetheanum in Dornach SO, nun sehr nahe.“ (Aargauer Zeitung, „Verschwörungsmystiker wie der Basler Daniele Ganser kapern Rudolf-Steiner-Bewegung„, 08. Februar 2018)

  • Der Grünen-Mitbegründer Gerald Häfner, Leiter der „Sektion Sozialwissenschaften“ der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, pochte für Ganser unter Bezug auf Rudolf Steiner auf „Redefreiheit“: „Anthroposophie setzt sich für ein freies Geistes- und Kulturleben ein„. Dazu gehörten laut der Basler Zeitung die „Denk- und Redefreiheit sowie auch das Recht, Veranstaltungen durchzuführen„. Eine „geplante und schon angekündigte Folge-Veranstaltung“ an der Waldorfschule Schopfheim sei „auf Weisung wieder abgesagt worden

Daniele Ganser bei anthroposophischem Kongress 2023

Im März 2023 findet der „Kernpunkte Kongress 2023“ statt. Die anthroposophische „Kernpunkte“-Zeitung mit dem Untertitel „Für: Dreigliederung des sozialen Organismus“ lädt Esoteriker & rechte Verschwörungsideologen zu seiner Jahrestagung ein. Vortragende sind unter anderem der Waldorflehrer Thomas Brunner, der Querdenker Dirk Pohlmann, der rechtsoffene „Patriot“ Matthew Ehret und der Verschwörungsunternehmer Daniele Ganser. Er referiert zum Thema „Warum ist in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen?“

Der Waldorfschulen-Funktionär und Eurythmie-Lehrer Thomas Brunner trat während der Pandemie als Querdenker und Verschwörungsideologe auf. Corona sei nur eine „Inszenierung“ zur „Knechtung der Menschheit“, Öffentlich-rechtliche Medien sendeten angeblich „faschistische Propaganda“ (Anthroposophie.blog berichtete).

Dirk Pohlmann veröffentlicht in „Alternativmedien“ wie RT Deutsch, Sputnik News, oder Ken Jebsens Ken FM. Er hält enge Verbindungen zum radikalen Oldenburger Ex-Waldorflehrer Markus Fiedler. Der Tagesspiegel nennt den pro-russischen Publizisten einen „Verschwörungsideologen“.

Matthew Ehret leitet das Verschwörungs-Portal „The Canadian Patriot“. Auf Twitter verbreitet er pro-russische und pro-chinesische Propaganda unter „@patriot_review“. Die Interview-Gäste Ehrets stammen aus dem Umfeld von US-Rechtsextremisten, Verschwörungsideologen und QAnon.

„Kernpunkte“ ist eine anthroposophische Zeitung, die die „Sozialen Dreigliederung“ nach dem Waldorfschulen- und Anthroposophie-Gründer Rudolf Steiner zum Inhalt hat. Anthroposoph_innen aus der sog. „Dreigliederungsbewegung“ radikalisieren sich zunehmend. Die neue Gesellschaftsform nach Rudolf Steiner scheint für Esoteriker, Staatsfeinde und Querdenkerinnen ein Mittel zu sein, um aus unserer vorgeblich „gelenkten“ Demokratie eine Volksherrschaft von unten zu machen. Eine oft gehörte Theorie: Presse, Medizin und Forschung seien lediglich Marionetten, gesteuert von bösen Kräften. Teile der Bewegung verargumentieren das mittels offenem Antisemitismus.

Die Anthropsophie Rudolf Steiners hat eine unverkennbare Nähe zu Verschwörungstheorien – und dass nicht erst seit der Corona-Pandemie. Von der anthroposophischen ‚Medizin‘ über die biodynamische Demeter-Landwirtschaft bis zu den esoterischen Waldorfschulen durchdringen Querdenker-Thesen alle Bereiche der esoterischen Weltanschauung. Verschwörungstheorien gehören laut dem Religionswissenschaftler Helmut Zander fest zur Anthroposophie:

Die Vorstellung von geheimen, okkulten Mächten [gehört] zur anthroposophischen DNA„. Und Zander warnt: „Von hier aus ist der Schritt, an andere Strippenzieher hinter den Kulissen und ergo an Verschwörung zu glauben, nicht weit.


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