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Havelhöhe: Anthroposophische Corona-Therapien mit kosmischen Kräften

Der ‚Guardian‘ über alternative Corona-Therapien im anthroposophischen Krankenhaus Havelhöhe. Sedierte Intensivpatienten würden ohne ihre Zustimmung mit Mitteln ohne Wirknachweis behandelt: Mit Ingwer-Wickeln und homöopathischen Globuli aus kosmischen Meteoriten.

In der britischen Sonntagszeitung „The Observer“ und dem mit ihr verbundenen „The Guardian“ erschien Anfang Januar der Artikel „Ingwerwurzel und Meteoritenstaub: In Deutschland angebotene Corona-Therapien nach Steiner„. Es geht um experimentelle Therapien an Corona-Patienten mit der kosmologisch begründeten anthroposophischen ‚Medizin‘ des Hellsehers Rudolf Steiner, für die keine Wirknachweise vorliegen. Dazu kommen der Religionswissenschaftler Helmut Zander, der Professor für Alternativmedizin Edzard Ernst und der Anthroposophie-Blogger Oliver Rautenberg zu Wort.

„In Deutschland werden schwer an Covid-19 erkrankte in Krankenhäuser gebracht, wo sie unter Sedierung und ohne formalisiertes Einspruchsverfahren mit ingwergetränkten Brustkompressen und homöopathischen Kügelchen behandelt werden“. (The Guardian – „Ginger root and meteorite dust: the Steiner ‘Covid cures’ offered in Germany„, 10.01.2021)

Deutschland sei ein leuchtendes Beispiel für Wissenschaftlichkeit in der Pandemie-Bekämpfung, so der Guardian. Von Anhängern des Anthroposophie-Gründers und „selberernannten Hellsehers Rudolf Steiner“ würden jedoch Therapien ohne Wirknachweis durchgeführt, die „keine begutachteten Studien oder klinischen Versuche“ vorweisen könnten, darunter im anthroposophischen Berliner „Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe“.

Die öffentliche Akzeptanz der esoterischen Bewegung stehe dadurch „erneut auf dem Prüfstand„, da Anhänger der Steiner-Philosophie während der Pandemie dadurch aufgefallen seien, bei Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zusammen mit „Impfgegnern und Rechtsextremen“ zu marschieren.

Anthroposophische Medizin: Anerkannt, gefördert, unwissenschaftlich

Die Anthroposophie sei eine eher kleine Bewegung, die aber im deutschsprachigen Raum eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und institutionelle Unterstützung genieße. Bekannt seien anthroposophische Waldorfschulen und -Kindergärten oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, aber auch durch Wirtschaftsunternehmen wie die umsatzstarke Drogerie- und Supermarktketten, die von bekennenden Anthroposophen geführt werden. Auch International würden „Steiner-treue Marken“ wie Weleda und Dr. Hauschka boomen.

Die Bewegung habe sich so zwar eine „stete Präsenz“ erarbeitet, stehe aber mit ihrer ganz eigenen ‚Alternativmedizin‘ „außerhalb der Wissenschaft„:

Steiners Glaube an Krankheiten als Übergangsriten, die notwendig sind, um seelische Ungleichgewichte zu beseitigen, steht in krassem Widerspruch zu den Grundlagen der modernen Wissenschaft. Und doch hat die Anthroposophie beträchtlichen Einzug in ein öffentlich-privates Gesundheitssystem gehalten, das auf die Wahlfreiheit der Verbraucher setzt.

Obwohl die anthroposophische ‚Medizin‘ also den Grundlagen der Wissenschaft widerspreche, sei sie in Deutschland toleriert und weit verbreitet: Nicht weniger als 10 Steiner-Krankenhäuser werden als „besondere Therapieeinrichtungen“ geduldet. Das bedeute, dass anthroposophische Mittel „ohne Wirknachweis zur Anwendung zugelassen werden können„.

Die Toleranz für Steiner-Esoterik steht auf der Probe

„Doch die Pandemie stellt die deutsche Toleranz gegenüber der Steiner-Esoterik in mehr als einer Hinsicht auf die Probe.“ (The Guardian – „Ginger root and meteorite dust: the Steiner ‘Covid cures’ offered in Germany„, 10.01.2021)

Durch die Behauptung der Anthroposophie, einen exklusiven „Zugang zu geheimem, höherem Wissen zu haben“ gäbe es „eine Nähe zur Denkweise von Verschwörungstheoretikern“ – auch wenn „wohl nur wenige“ Steiner-Anhänger in diese Richtung tendierten, so der Religionswissenschaftler Helmut Zander. Auch ich durfte als Anthroposophie-Kritiker meinen Teil beisteuern:

Oliver Rautenberg, dessen kritischer Blog zum Thema Pandemie eine breitere Leserschaft gefunden hat, stimmt dem zu: „In der Steiner-Gemeinde ist ein Verschwörungsdenken weit verbreitet. Die Anthroposophie ist seit langem eine der einflussreichsten esoterischen Bewegungen in Deutschland. Aber die meisten Menschen wissen erstaunlich wenig darüber.

Die für die Zuweisung von Menschen mit schweren Coronavirus-Infektionen in Berlin zuständige Universitätsklinik Charité sei meist „nicht in der Lage, Intensivpatienten die Wahl anzubieten„, wo sie behandelt werden. Die Havelhöhe gab zwar an, Angehörigen über die „Therapiemethoden zu informieren“ – auf welche Weise aber die Zustimmung der sedierten Patienten eingeholt werde, konnte man nicht erklären:

Das Krankenhaus antwortete nicht, nachdem es dreimal gebeten wurde, schriftlich zu erklären, wie sein Opt-in-Verfahren funktionierte oder ob die Patienten über den fehlenden Nachweis der Wirksamkeit der Behandlung aufgeklärt wurden.“

Therapie mit homöopathischen Globuli aus zermahlenen kosmischen Meteoriten

Die Klinik bestehe darauf, dass die von ihr verwendeten alternativen ‚Heilmittel‘ wie feuchte Brustwickel mit pulverisiertem Ingwer oder homöopathische Globuli aus „potenziertem Phosphor und Meteoreisen“ lediglich „ergänzende Therapien“ seien. Laut dem Pharma-Hersteller Wala würden ihre Globuli „zermahlene Reste von Meteoriten enthalten, die nach dem Eintritt in die Erdatmosphäre nicht vollständig verbrannt sind„. Auch ohne Wirknachweis ist man in der Havelhöhe von deren Wirksamkeit überzeugt:

Eine Sprecherin der Havelhöhe sagte, es gebe keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirkung dieser Mittel belegen, und es sei nicht genug Zeit gewesen, um Versuche durchzuführen. „Aber wir haben festgestellt, dass sie den Menschen guttun.

Dr. Edzard Ernst, emeritierter Professor für Alternativmedizin in Großbritannien hat da seine Zweifel.

Keines der aufgelisteten Heilmittel hat sich bei irgendeinem Zustand als wirksam erwiesen. Die meisten sind stark verdünnt und daher völlig unplausibel. Die Behauptung, dass irgendeines von ihnen gegen Covid-19 wirksam ist, ist meiner Meinung nach höchst unverantwortlich.

Behauptungen des Klinikleiters sind unprofessionell und potentiell gefährlich

Trotzdem behauptet der Klinikleiter Harald Matthes im esoterischen Waldorfschulen-Magazin „Erziehungskunst“ große Erfolge durch die homöopathische Behandlung. Seine Klinik bestätigt das: Die Sterblichkeitsrate für Patienten mit Covid-19 läge in der Klinik mit 12,4% bei nur rund der Hälfte des deutschen Durchschnitts von 24 %. Das ließe sich laut Angaben der Charité aber eher dadurch erklären, dass die Klinik nur mildere Fälle zugewiesen bekommt.

Dazu Stefan Kluge, Direktor der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg:

Mitten in einer Pandemie solche Behauptungen aufzustellen, ist höchst unprofessionell und birgt die Gefahr, Patienten zu verunsichern. Die Sterblichkeitsrate in einem einzelnen Krankenhaus hängt immer davon ab, wie schwerwiegend der Zustand der Patienten ist, wenn sie dort ankommen.

Wann immer die akademische Medizin im dunklen tappe, so der Artikel, „spüle es alternative Therapien an die Oberfläche“.

Quelle: The Guardian – „Ginger root and meteorite dust: the Steiner ‘Covid cures’ offered in Germany„, 10.01.2021


Experte: Replik des Verbandes anthroposophischer Medizingesellschaften ist „Wunschdenken“

Die IVAA, der internationale Dach- und Lobbyverband der anthroposophischen ‚Medizingesellschaften‘ reagiert erwartungsgemäß unterkühlt: Im Artikel des britischen Observers kämen „bekannte Gegner der Anthroposophie“ zu Wort. Der Bericht sei „biased„, also durch Vorurteile verzerrt.

Es gibt viele von Experten begutachtete Studien zur Anthroposophischen Medizin, und Anthroposophische Medikamente werden seit Jahrzehnten mit einer ausgezeichneten Sicherheitsbilanz verwendet. Die (…) Behandlungen [sind] nicht experimentell und werden zusätzlich zur Standardversorgung angeboten, basierend auf langjähriger klinischer Erfahrung und in Krankenhäusern, in denen ihr integrativer medizinischer Ansatz offen bekannt gemacht wird.“ (International Federation of Anthroposophic Medical Associations – „British “The Observer” highlights integration of conventional and anthroposophic care of Covid-19 patients in German hospitals„, 12.01.2021)

Die anthroposophischen Verfahren seien nicht etwa experimentell, sondern durch die langjährige Erfahrung anthroposophischer ‚Mediziner‘ gedeckt – ein typischer Standpunkt der ‚Alternativmediziner‘: Die Mittel wirken, weil sie es sagen. Zudem sei die anthroposophische ‚Medizin‘ „vollständig in das deutsche Gesundheitssystem integriert“ und ihre Wirksamkeit durch zahlreiche hochwertige Studien belegt.

Führender Professor für Alternativmedizin widerspricht Anthroposophen-Verband

Dem widerspricht Dr. Edzard Ernst, emeritierter Professor für Alternativmedizin in Großbritannien und einer der weltweit führender Experten auf dem Gebiet: Behauptungen, die anthroposophische ‚Medizin‘ sei „in das deutsche Gesundheitssystem integriert„, seien irreführend. Im Gegenteil gehöre sie zu den „besonderen Therapieeinrichtungen„, was „fast das Gegenteil“ sei. Auch sei die A.M. keineswegs „hochgradig akzeptiert“ sondern Teil der „So Called Alternative Medicine (SCAM)“ und bei den Deutschen weitgehend unbekannt. Sich wie die Anhänger Rudolf Steiners auf „jahrzehntelange Tradition“ zu berufen, sei ein logischer Fehlschluss.

Die angeführten Studien seien im Gegensatz zu den Behauptungen der Anthroposophen in Wahrheit eben nicht peer-reviewed, also von Experten begutachtet, und böten keine auch nur annähernd schlüssigen Begründungen über eine angebliche Wirksamkeit der Mittel. „Sicher“ seien diese allenfalls, da sie durch die homöopathische Verdünnung normalerweise keine Wirkstoffe enthielten.

Klinikleiter Matthes hatte im Erziehungskunst-Interview von Oktober 2020 sogar behauptet, ihm sei „noch kein Patient gestorben„, weil die Behandlung mit homöopathischen Globuli „sehr gute Erfolge“ gezeigt hätte. Nachweise dafür präsentierte der Anhänger der Hellseher-Heilkunst bis heute nicht. Kritiker Edzard Ernst bat daher in seinem Blog um einer Erklärung:

Wenn die Ergebnisse so überaus gut seien, warum würden sie dann nicht veröffentlicht, damit auch andere Patienten davon profitieren könnten?

Wenn Sie der Meinung sind, dass Ihre Ergebnisse so gut sind, überwachen Sie sie genau, um sie dringend zu veröffentlichen, damit andere Zentren von ihnen lernen können?

Halten Sie es für ethisch vertretbar, während einer Gesundheitskrise in einem öffentlich zugänglichen Interview für unbewiesene Behandlungen zu werben, bevor die Ergebnisse formell bewertet und veröffentlicht wurden? “ (Edzard Ernst – „COVID-19 and ‘the tyranny predicted by Rudolf Steiner as early as 1909’“, 09.12.2020)

Im Januar kommt Ernst zu der Schlussfolgerung:

Mein Fazit: Diese Pressemitteilung wurde in wahrhaft anthroposophischem Stil und Geist verfasst: schlecht informiert, unter Missachtung der medizinischen Ethik, basierend auf Wunschdenken und mit dem Ziel, die Öffentlichkeit irrezuführen.“ (Edzard Ernst – „Anthroposophic care of Covid-19 patients in German hospitals„, 23.01.2021)


Weiterlesen?

Anthroposophie.blog – „Corona-Mythen aus der Anthroposophie„. Bereits im April 2020 berichtete ich, dass die Schweizer Anthroposophie-Zentrale Goetheanum homöopathische Globuli aus Meteoreisen gegen das Corona-Virus empfiehlt. Die ‚medizinische‘ Sektion des Goetheanums macht dabei ungünstige Planetenkonstellationen für den Ausbruch des Virus verantwortlich und empfiehlt zur Vorbeugung auch esoterische Eurythmie-Tänze.

9 Gedanken zu “Havelhöhe: Anthroposophische Corona-Therapien mit kosmischen Kräften

  1. Aber es ist doch klar, daß sedierte Intensivpatienten auch in konventionellen Krankenhäusern nicht gefragt werden, welcher Art von Behandlung man sie pharmazeutisch im Detail unterwirft. Dass liegt zum Einen in der Natur der Situation (akuter Handlungsbedarf), zum Andern ist die Einverständniserklärung in der Regel eine Formalität, die Patienten oder ihre Angehörigen zwangsläufig ohne echte Sachkenntnis treffen müssen…

  2. Zum Inhalt: man könnte jeden Satz mit Gegenargumenten widerlegen. Ich habe eine grundsätzliche Frage: warum investieren so viel Zeit darein, um niemandem mit Ihren Aussagen zu helfen? Wäre es nicht sinnvoller, sie würden irgendwas Besseres tun, als nur Kritik zu verbreiten? Ich wünschte Ihnen, Sie würden sich diese Frage stellen. Sicherlich schaffen Sie so, durch Ihre Artikel, nur Spaltung und führen zu mehr Probleme als Lösungsansätze für die gegenwärtige Lage in der Welt.

    1. Wenn du Gegenargumente hast, mit denen du es widerlegen kannst dann tu es. Das zweifel ich nämlich mal dick an, all die Esoterik und Spinnerei hat noch nie irgendetwas beweisen und belegen können. Die existiert nämlich nur für die, die anderen damit die Tasche leeren wollen, und für die instabilen armen Wesen, denen die Welt zu komplex geworden ist und die sie sich mit Schwurbel künstlich einfach halten wollen.

      Darum ist Olivers Arbeit auch essentiell: damit die, die den Käse unbedingt machen wollen sich wenigstens bewußt werden müssen, dass sie Quatsch folgen, von dem nichts zu erwarten ist. Und sie alternativ auch bei Vollmond nackt und bemalt um einen Haselstrauch tanzen könnten.

  3. Ein hochgestecktes Ziel. Jeden Satz mit Gegenargumenten belegen.

    Das führt unweigerlich zum Scheitern. Oder zu repetitiven Antworten, die eigentlich dann nichts mehr mit den ursprünglichen Aussagen zu tun haben.

    Leider haben meine Vorposter und ich noch immer keine wissenschaftlichen Belege von Ihnen bekommen, Frau Wenger. Und mit wissenschaftlich meine ich evidenz-basiert, wie es in der Schulmedizin gang und gebe ist. Überprüfbare Ergebnisse, wo klar die Quellen genannt werden. Ich glaube, es geht nicht nur mir so, wenn ich sage, dass allein die Schriften von Rudolf Steiner nicht als „Universalquelle“ fungieren können. In einem medizisch-technischen Diskurs möchte ich Empirie sehen. Empirie, die sachlich ist und trotzdem hinterfragt werden kann und muss.

    Übrigens finde ich es interessant, dass eine englische Zeitschrift wie „The Guardian“ das Thema aufgebracht hat.

    Und Kritik – sachlich . ist die höchste Form des Respekts. Weil es zeigt, dass man den anderen ernstnimmt und sich mit dessen Position auseinandersetzt.

    Gegenfragen und -argumente sind gut. Wenn sie fundiert und überprüfbar sind – sprich: die Quellen als Transparenz angegeben werden. Aber so, wie Sie es gerade tun, ist es kein Diskurs. Nicht auf Augenhöhe. Kritik kann schmerzhaft sein, wenn man merkt, dass man an die Grenzen stößt. Wenn sich plötzlich etwas verschiebt.

    Ein Diskurs lebt von Auseinandersetzung. Nicht aber von plakativen Antworten, die dann noch als Totschlag-Argument daherkommen. Bislang gibt es keine Gegenargumente. Nur die Aussage, dass man jeden Satz damit widerlegen könnte.

    Eigentlich schade.

  4. Addendum: ich meine natürlich Frau Diana Wegner, nicht Herrn Wenger. Ich bitte um Entschuldigung. Das ist ein Tippfehler meinerseits.

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