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Tanz die Tagesthemen

Screenshot der ARD-Sendung „Tagesthemen“ vom 03.09.2019, in der die Moderatorin
Caren Miosga Buchstaben mit esoterischen Eurythmie-Gesten darstellt.

Die Tagesthemen feierten unkritisch eine esoterische Privatschule, die Moderatorin tanzte dazu Eurythmie. Brisant: Den Beitrag über die Waldorfschule gestaltete auch eine Funktionärin der Waldorfschule.

Zum 100. Geburtstag der esoterischen Waldorfschulen lieferten die Tagesthemen in der ARD eine Sendung ab, welche die oft kontrovers diskutierte Privatschule komplett unkritisch darstellte.

Die Moderatorin Caren Miosga tanzte mit Eurythmie den Titel der Sendung. Ist das nicht lustig? Richtig, das ist es nicht. Wer Aufklärung oder Kritik erwartete, wurde mit Allgemeinplätzen abgespeist. Setzen, sechs! Bildungsauftrag verfehlt.

Screenshot von einer Google-Suche nach der Waldorfschule

Googelt der Laie „Waldorfschule“, wird „Sekte“ als Suchbegriff vorgeschlagen. Liest man bei Wikipedia, gilt Schulgründer Rudolf Steiner als „Esoteriker“: das wären spannende Themen gewesen. Warum hält sich eine Schule seit 100 Jahren, die doch von einem esoterischen Hellseher erfunden wurde? Das wurde in den rund 5 Minuten Bericht ausgeblendet.

Waldorf-Funktionärin in der Redaktion

Die Recherche und den Vorort-Bericht durfte Redaktions-Mitglied Esther Saoub (@esaoub) liefern – sie soll der Moderatorin Miosga auch den esoterischen Eurythmie-Tanz beigebracht haben. Das ist insofern brisant, als dass Frau Saoub nicht nur selbst Waldorfschülerin war, sondern heute nebenbei im Vorstand einer Waldorfschule sitzt.

„Esther Saoub ist Vorstandsmitglied des Schulvereins der Waldorfschule Uhlandshöhe. Sie tritt auf Podien von Waldorf-Feierlichkeiten auf und moderiert sogar die große Festveranstaltung ‚100 Jahre Waldorfschule'“ (Humanistischer Pressedienst, „Werbeunterbrechung für Waldorfschulen in den Tagesthemen„, 04.09.2019)

Frau Saoub ist also Waldorf-Funktionärin, sogar durch den großen Festakt zum 100. Geburtstag der Waldorfschulen sollte sie führen. Davon wurde im Anschluss von der Sendung Abstand genommen. Esther Saoub durfte jedoch für den SWR die ebenso unkritische Dokumentation „Waldorf global – Wie die Waldorfschule die Welt eroberte“ drehen.

Im Tagesthemen-Bericht schildert eine Waldorflehrerin das Waldorf-Konzept höchst eloquent:

Weil wir über die Sinne gehen, weil wir eben nicht alles übers Kognitive, das Sprachliche lernen, sondern über den Körper. Wir fühlen des, was wir lernen, eigentlich von oben bis unten und es ist net der Kopf.

Es wurden im Folgenden Standards abgespult, die schon jeder kannte: Praktisches Arbeiten, kein Sitzenbleiben, keine Noten. Entwickelt vom „Anthroposophen“ Rudolf Steiner. Vom was? Egal. Karma und Reinkarnation, Esoterik, Rassismus und Impfgegnertum hatten keinen Platz in knappen 5 Minuten.

Experten-Interview mit Steiner-Bewunderer

Zu Wort kam auch Heiner Barz, Erziehungswissenschaftler an der Uni Düsseldorf. Der sah prompt „keine triftige Kritik“ am System, man sei „gut aufgestellt“. Diese Einschätzung verwundert nicht: Barz ist wie man hört nicht nur selbst Waldorf-Vater, er hat sich auch mehrfach als großer Bewunderer des Hellsehers Steiner gezeigt.

In einem Interview zum Thema „100 Jahre Waldorfschule“ mit den Aachener Nachrichten nannte Barz den esoterischen Glauben Anthroposophie ein „Gesamtkunstwerk“. Übersinnliches spiele in der Schule „gar keine Rolle“ – dabei müsste der Erziehungswissenschaftler sehr gut wissen, dass die Pädagogik auf Karma und Reinkarnation aufbaut.

Screenshot der Aachener Nachrichten mit Waldorf-Vater Barz auf dem Cover

Die Aachener Nachrichten stellten dem Waldorf-Fan Barz kürzlich durchaus kritische Fragen, die der Wissenschaftler aber abblockte. Die konkrete Frage: „War Steiner rassistischer Esoteriker?“ ignorierte Barz einfach und antwortete stattdessen: „Er war genial.

Barz ist Autor der Studie „Bildungserfahrungen an Waldorfschulen“, eine der wenigen existierenden Studien zur Waldorfpädagogik. Die Studie wurde von der Waldorfschule und einer anthroposophischen Bank bezahlt. Die Co-Autoren der Studie waren mehrheitlich Anthroposophen.

Am Schluss wurde noch die esoterische „Eurythmie“ als „lernen mit allen Sinnen“ verklärt, ein spiritueller Tanz, den Rudolf Steiner das „irdische Abbild der Elfen-, Gnomen- und Erzengel-Sprache“ nannte.

Ende.

Jubel-Berichterstattung und harte Zeiten für Skeptiker

War da nicht noch irgendwas mit Seelenbildekräften, Äther- und Astralleiben? Scheint ja nicht so wichtig gewesen zu sein.

Mein Fazit: Zum 100. Geburtstag der esoterischen Privatschulen, die der umstrittene Hellseher und Okkultist Rudolf Steiner ohne jegliche pädagogischen Kenntnisse erfand, müssen wir uns auf weitere unkritische, uninformierte Jubel-Berichterstattung einstellen.

Harte Zeiten für Skeptiker.

Aber nehmen wir es mit Humor! Stellen wir uns folgende Live-Berichterstattung vor:

Heute in ihrem öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Wir berichten kritisch über Deutschlands Bierkonsum. Unser trinkfester Redakteur sendet dazu live aus seiner Eckkneipe, wo er beliebte Sorten verkostet, die uns freundlicherweise von der Brauerei zur Verfügung gestellt wurden, in der er nebenberuflich arbeitet.


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