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Studie über Querdenker: Akademisch, spirituell und rechtsoffen

Das Team um Prof. Dr. Oliver Nachtwey von der Universität Basel präsentierte im Dezember 2020 eine Studie über Gegner_innen von Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland und der Schweiz. Die Teilnehmer kämen eher von links, tendierten aber nach rechts – darunter seien auch Anthroposophen.

Ziel der Studie sei es, „Motivation, Werte und Überzeugungen der Teilnehmer:innen“ an Corona-Demonstrationen zu analysieren. Dazu habe man einen Methodenmix aus „quantitativen Online-Umfragen, ethnographischen Beobachtungen, qualitative Interviews und Dokumentenanalysen“ genutzt.

Mitglieder der Querdenken-Bewegung hatten dazu 1150 Fragebögen ausgefüllt, die auch in offene Telegram-Chatgruppen der Querdenker_innen gepostet wurden. Laut den Erhebungen sind die Querdenken-Demonstrant_innen oft weiblich, eher älter und akademisch gebildet. Die Gruppen der Demo-Teilnehmer seien sehr unterschiedlich, aber hätten sich stark dem demokratischen Politiksystem entfremdet und seien nach rechts offen.

Antisemitisch, antiautoritär, anthroposophisch

Manche Querdenker_innen erfüllen das Klischee von „Linksgrünen“: 4 von 10 Befragte hätten zuvor die Linken oder die Grünen gewählt. Doch eine große Gruppe von 27% will künftig zur rechtspopulistischen AfD wechseln. Der Informationsdienst Wissenschaft findet zusammenfassend, die Bewegung habe „antisemitische, antiautoritäre und anthroposophische Züge

Als vorläufige Befunde wurden unter neben anderen Punkten festgestellt:

  • Querdenken sei eine „relativ alte und relativ akademische Bewegung“, Teilnehmer_innen waren im Durchschnitt 47 Jahre alt und verfügten zu 31% über Abitur, zu 34% über einen abgeschlossenes Studium.
  • Bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland haben 18% die Linke und 23% die Grünen gewählt, die AfD nur 15%. Bei der nächsten Bundestagswahl wären es allerdings rund 27%: „Mit Blick auf die Wahlabsichten lässt sich sagen, dass es sich um eine Bewegung handelt, die eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht
  • Querdenken sei keine genuin autoritäre Bewegung. Interessant sei, dass viele Studienteilnehmer der Frage nach antisemitischen Einstellungen ausgewichen sind: „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass viele Personen mit latenten antisemitischen Vorurteilen durch Nichtbeantwortung der Frage gewissermaßen “ausgewichen” sind.
  • Die Überprüfung einer „allgemeinen Verschwörungsmentalität“ sei „fast immer stark ausgefallen„, jedenfalls „soweit es Regierung, Medien und Corona-Maßnahmen betrifft.
  • Querdenker:innen seien „weder ausgesprochen fremden- oder islamfeindlich„, und „in einigen wenigen Bereichen sogar eher anti-autoritär und der Anthroposophie zugeneigt„. Viele wollten die „Alternativmedizin“ der „Schulmedizin“ gleichstellen sowie „zurück zur Natur“ und mehr „ganzheitliches und spirituelles Denken„.

Akademisch, spirituell, rechtsoffen

Allerdings handelt es sich klar um eine Bewegung, die nach rechts offen ist und über ein beträchtliches immanentes Radikalisierungspotenzial verfügt. Eine Mehrheit hält die AfD für eine normale Partei und empfindet die Aufregung um Reichskriegsflaggen auf den Demonstrationen für übertrieben.“ (Quelle: Universität Basel – „Politische Soziologie der Corona-Proteste„, Grundauswertung 17.12.2020, DOI 10.31235/osf.io/zyp3f)

Ein Teil der Studie befasst sich mit dem Themenkomplex „Anthroposophie / Esoterisches Denken„, was aufgrund der Entstehung der Querdenken-Bewegung im anthroposophie-nahen Stuttgarter Umfeld sicher verständlich ist.

Hier waren die Fragen an die Querdenker_innen wie folgt:

  • „Unsere natürlichen Selbstheilungskräfte sind stark genug, um das Virus zu bekämpfen“ (64% „stimmen zu“ oder „stimmen voll und ganz zu“)
  • „Mehr spirituelles und ganzheitliches Denken würde der Gesellschaft guttun“ (67% „stimmen zu“ oder „stimmen voll und ganz zu“)
  • „Alternativmedizin sollte mit Schulmedizin gleichgestellt werden“ (64% „stimmen zu“ oder „stimmen voll und ganz zu“)
  • „Die Krise zeigt auch, wie weit wir uns von der Natur entfernt haben“ (73% „stimmen zu“ oder „stimmen voll und ganz zu“)
  • „Beim Impfen muss man das Für und Wider sorgfältig abwägen“ (19,18% „stimmen zu“, 68,66% „stimmen voll und ganz zu“, insgesamt 87,84%)
  • „Es besteht die Gefahr, dass die Regierung einen Impfzwang und einen Immunitätsausweis einführt“ (90% „stimmen zu“ oder „stimmen voll und ganz zu“)
  • Nehmen wir an, dass ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus gefunden wird, der nachweislich keine nennenswerten Nebenwirkungen hat. Würden sie sich freiwillig impfen lassen?“ (85% „stimmten überhaupt nicht zu“ oder „stimmen nicht zu“)

Wenig verwunderlich ist die große Ablehnung von Impfungen und der feste Glaube an einen kommenden Impfzwang. Auch das Vertrauen in Spiritualität, Alternativmedizin und eigene Selbstheilungskräfte gegen das Virus ist überaus groß. Sicherlich übersehen viele Anhänger der „alternativen“ Medizin, dass eine Gleichstellung zur evidenzbasierten Medizin auch bedeutet, zum ersten Mal Wirknachweise beispielsweise für Homöopathie und anthroposophische „Medizin“ erbringen zu müssen.

Die Studie von Nachtwey, Schäfer und Frei zeigt eine große Ohnmacht bei den Demonstranten, aber auch eine bedenkliche Entfremdung zwischen ihnen und etablierten politischen Kräften. Somit verleiht die Pandemie der Verschwörungsgläubigen Strömung eine Art politischer Sprengkraft. Die rechtspopulistische AfD hält man für eine normale Partei, stört sich kaum an Reichskriegsflaggen. Aus dieser Nazi-Toleranz ist es nicht weit zur Akzeptanz und Unterstützung.

Die Querdenken-Bewegung könne durchaus „starke Dynamiken entwickeln, die auch eine Radikalisierung wahrscheinlicher machen„, heißt es in dem Papier.



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