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Corona-Schutz eingefordert: Waldorfschule Müllheim setzt Schüler unter Druck

An einer Müllheimer Waldorfschule zeigen einige Lehrkräfte ihre Ablehnung von Corona-Schutzmaßnahmen durch das Tragen von Häkelmasken. Ein Schüler rief die Behörden zu Hilfe – die Schule setzte den „Verräter“ daraufhin unter Druck.

Seit dem Aufkommen der Pandemie treten Mitglieder der Waldorfschul-Bewegung verstärkt als Gegner staatlich verordneter Corona-Schutzmaßnahmen auf. So waren in dutzenden Städten Waldorfpädagog_innen an Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen als Redner oder Organisatoren beteiligt. Häufig geht ein Riss durch die Lehrerschaft an den vom Hellseher und Okkultisten Rudolf Steiner gegründeten Privatschulen: Teile der Lehrer_innen akzeptieren Abstandsregeln und Maskenpflicht, andere entpuppen sich als vehemente Gegner.

In Müllheim eskalierte nun das Bemühen der Schüler um ihren eigenen Corona-Schutz: Ein Schüler musste die Polizei rufen, berichtet der Spiegel:

Weigern sich Lehrer, Maske zu tragen, sind Schüler oft hilflos. Es mangelt an Unterstützung im Kollegium, die Schulaufsicht weiß oft nicht Bescheid. Manche Schüler wenden sich stattdessen an die Medien – oder sogar an die Polizei“ (Der Spiegel – „Corona-Leugner in der Lehrerschaft: Wie Schüler alleingelassen werden„, 24.11.2020)

Seit einigen Monaten würde ein kleiner Teil des Lehrerkollegiums sich „aus Überzeugung“ weigern, eine Maske zu tragen, berichtet die Schülermitverwaltung der Waldorfschule in einem offenen Brief. Eine Lehrerin, die sich selbst ein „Eigenattest“ zur Maskenbefreiung ausgestellt hatte, war gegenüber Beschwerden von Schülern besonders uneinsichtig. Bitten der Schülerschaft nach Einhaltung von Maskenpflicht und Abstandsregeln seien lange unbeantwortet geblieben. Ein Schüler, der kein Gehör fand, hatte sich genötigt gesehen, die Behörden zu informieren

Lehrkräfte mit selbstgeschriebenen Attesten und Häkelmasken

Symbolbild:
Häkelmasken als Mund-Nasen-Schutz dienen der Verächtlichmachung von Corona-Schutzmaßnahmen

Einige Lehrkräfte hätten „Häkelmasken“ getragen – ein von Verschwörungsideologen auf Corona-Demonstrationen bekanntes vorgehen, um eine Maskenpflicht und ihre gewünschte Schutzwirkung bewusst ad absurdum zu führen. Insgesamt Neun von 72 Waldorf-Lehrer_innen der Schule hätten ein Attest zur Masken-Befreiung. Man sei aber nicht im Stande, die Glaubwürdigkeit der Atteste zu prüfen, sagt der Schulvorstand.

Schließlich habe ein Zwölftklässler angekündigt, die örtlichen Behörden zu verständigen, woraufhin eine der Maske-verweigernden Lehrerinnen ihn »in überheblichem, ironischem Tonfall« aufgefordert habe, das zu tun. Die Polizei kam und informierte wiederum die zuständige Bußgeldbehörde.“ (Der Spiegel – „Corona-Leugner in der Lehrerschaft: Wie Schüler alleingelassen werden„, 24.11.2020)

Bei der staatlichen Schulaufsicht sei der Fall noch nicht bekannt, so der Spiegel. Dazu sei angemerkt: Wenn Privatschulen wie die Waldorfschule nicht auf Sorgen und Nöte der Schüler_innen oder Eltern reagieren und sich Schulbehörden oft nicht zuständig fühlen, landen Waldorfschüler_innen und deren Familien in einer Sackgasse. Wer an den esoterisch begründeten Privatschulen Probleme benennt, wird oft selbst zum Problem. Oft bleibt dann nur kündigen – oder gekündigt werden.

Schüler beschwert sich – und wird unter Druck gesetzt

Die Schüler seien dann „weitgehend auf sich allein gestellt“, so der Spiegel. Schüler forderten die Lehrkräfte erfolglos auf, »den vom Gesetz vorgegebenen Mindestabstand einzuhalten oder Homeschooling zu betreiben«.

Für die Leitung der Waldorfschule Markgräflerland in Müllheim gilt der Schüler der sich beschwerte offenbar als „Verräter“:

Der Schüler wiederum, der die Polizei gerufen habe, sei aus dem Unterricht zitiert und vom Geschäftsführer und zwei Mitgliedern aus dem Verwaltungsrat unter Druck gesetzt worden. Ihm sei wegen »Verrat und Vertrauensbruch« mit dem Schulausschluss gedroht worden, heißt es in dem offenen Brief.

Der Druck kam damit von Personen, die in Teilen auch für die Aufklärung der Vorwürfe zuständig sind. Denn bei nicht staatlichen Schulen liegt die Schulaufsicht in der Regel beim Träger (…)“ (Der Spiegel – „Corona-Leugner in der Lehrerschaft: Wie Schüler alleingelassen werden„, 24.11.2020)

Waldorf-Vorstand relativiert

Der Vorstandssprecher des Bundes der Freien Waldorfschulen, Henning Kullak-Ublick räumt ein, es gebe „an vielen Waldorfschulen Konflikte wegen der Maskenpflicht„. Die aktuellen Probleme der esoterischen Privatschule mit Verschwörungsideologen in den eigenen Reihen versucht er als „gesamtgesellschaftliche aufgeladene Stimmung“ umzudeuten.

Mehr noch: Es sei „berechtigt, Maßnahmen wie etwa den Einsatz von Masken in den Grundschulklassen auf ihren Sinn abzuklopfen“ und „wissenschaftliche Belege zu fordern„, so Kullak-Ublick. Eine Mitschuld seiner Waldorf-Bewegung an der „aufgeladenen Stimmung“ scheint Kullak-Ublick nicht zu sehen. Gründe, diese anzunehmen, gibt es durchaus:

In Veröffentlichungen des Bundes der Freien Waldorfschule wurde seit dem Beginn der Corona-Krise immer wieder gegen Corona-Schutzmaßnahmen polemisiert und die Gefährlichkeit des Coronavirus angezweifelt. So ließ die Waldorfschule zu Beginn der Pandemie den heftig umstrittenen und als unseriös kritisierten Mediziner Dr. Wolfgang Wodarg für sich sprechen. Nicht zuletzt war es eine Jenaer Waldorfschule, die als erste deutsche Schule gegen die Maskenpflicht für Schüler_innen geklagt hatte.

Waldorf-Magazin vergleicht Mund-Nasen-Schutz mit Burka

Weite Teile der gläubigen Anthroposophen aus Alternativpädagogik und Alternativmedizin lehnen Schutzmaßnahmen und staatliche Eingriffe in ihr Handeln vehement ab: Noch Ende Oktober 2020 bezeichnete das offizielle Magazin des Bundes der Freien Waldorfschulen „Erziehungskunst“ den Mund-Nasen-Schutz als Mittel zur „sozialen Kontrolle“, „Regulierung politischer Macht“ und verglich die Maske mit einer „Burka“.

Kullak-Ublicks esoterische Glaubensgemeinschaft, die in der Ablehnung von staatlichen Verordnungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihnen nicht genehmen Medien zur Zeit sehr lautstark auftritt, nimmt der Waldorf-Chef mit Verweis auf zu hinterfragende „Sinnhaftigkeit“ und einzufordernde „Belege“ in Schutz. Damit verharmlost und legitimiert er gleichzeitig die immer extremeren Positionen in Kreisen seiner eigenen Weltanschauung.

Während ein Teil der Lehrerschaft die Schutzmaßnahmen akzeptiert, vertritt der ablehnende Teil immer extremere Positionen: Einige Waldorflehrerkräfte rufen öffentlich dazu auf, die Corona-Schutzverordnung zu ignorieren, gründen Widerstandsgruppen mittels Telegram-Messenger oder sprechen auf Querfront-Demos offen von einem Sturz der Regierung.

Eine esoterisch begründete Alternativpädagogik, die auf elitärem Wissen eines eingeweihten Zirkels beruht, auf der Vorstellung von verborgenen Wahrheiten und geheimen Mächten – die soll angeblich nicht mehr Verschwörungsideologien anziehen als alle anderen Schulformen auch? Die Waldorfschule ist eben keine Schule wie jede andere, sondern viel zu oft ein Ort für Verschwörungsmentalität.


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